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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Beine über die Veranda tanzen ließ, als hätten sie sich selbständig gemacht: er ging zu einem Konzert. Zu einem Rockkonzert. Zu einer wilden freudenvollen, dschungelmusikalischen Zeremonie von Mannbarkeit, Rebellion, Wehrdienstverweigerung, Drogenkonsum, sexueller Befriedigung und libidinöser Energie. Seit drei Tagen freute er sich schon darauf.
    Der Himmel hing tief, schwarz und mit Wolken bedeckt, und die leichte Erwärmung der letzten Tage hatte das Quecksilber bis plus zehn Grad hinaufgetrieben. Er mußte sich zur Straße hintasten, weil der dünne, hüpfende Strahl der Taschenlampe so schwach war, daß er mit seiner Hilfe bestenfalls feststellen konnte, welcher der tiefhängenden Zweige ihn ins Auge gepiekt oder sich in das zerfranste Ende seines Schals gehakt hatte. Es war eine halbe Meile auf dem steinigen Hohlweg bis zum Van Wart Creek und dem hölzernen Steg, den irgendein Altruist in längst vergangenen Zeiten dort gebaut hatte, und dann noch etwa eine Viertelmeile über eine sumpfige Wiese, die den grasenden Kühen eine Heimstatt und wie ein Minenfeld mit den pfannengroßen Fladen ihrer Exkremente übersät war. Anschließend wand sich der Weg durch ein Wäldchen kahler Birken und dichter Tannen, folgte einer leichten Anhöhe und mündete schließlich in den reglosen schwarzen Asphaltfluß der Van Wart Road.
    (Was machte schon diese regelmäßige, langwierige Wanderung vom Haus zur Straße oder zurück, die noch viel langwieriger wurde, wenn der Wanderer dabei prallvolle Säcke mit Linsen, Feldbohnen oder Kleieflocken schleppte? Die Abgeschiedenheit der Hütte hatte ihre Vorteile. Ein Held des Volkes und Heiliger der Wälder bekam zum Beispiel kaum Besuch von den Repräsentanten der verfassungsmäßigen Behörden von Bezirk und Gemeinde, vom Steuerprüfer, vom Sicherheitsinspektor des Bauamts oder vom Sheriff und seinen Schergen. Auch dürften ihn Vertreter, Bettler, Avon-Kosmetikberaterinnen oder Zeugen Jehovas nur selten belästigen, denn diese würden beim Vorbeifahren auf der Straße nur eine unendliche Masse von Bäumen sehen, die einer den anderen überschatteten. Für Eingeweihte dagegen, für seine privilegierten Gäste, hatte Tom Crane den Packard-Radkappen-Code entworfen. Verlangsamte man das Tempo bei einer bestimmten, kränklich aussehenden Ulme, die genau eine Zehntelmeile nach einer bestimmten Beule in der Leitplanke kam, und sah man dort die Radkappe von einem Nagel im Stamm dieser Ulme hängen, parkte man den Wagen und schlug sich in den Wald: Tom war zu Hause. Lag die Radkappe auf dem Boden, konnte man sich die Mühe sparen.)
    Draußen auf der Straße zog Tom die Hirschlederhandschuhe aus – eines von sechzehn Paaren, die sein Vater ihm unfreiwillig vererbt hatte. Er hatte sie, manche davon noch in Geschenkpapier mit Schneemännern und Zuckerstangen darauf eingewickelt, beim Stöbern im Schreibtisch seines Vaters gefunden, eine Woche nachdem das menschliche Versagen eines Piloten den ersten Urlaub seiner Eltern in zwanzig Jahren irgendwo über Puerto Rico beendet hatte. Er schob die Handschuhe in die Gürtelschlaufe des Fliegermantels, steckte die praktisch nutzlose Taschenlampe in die hintere Hosentasche und nahm die Radkappe vom Baum. Dann wärmte er sich die Hände mit seinem Atem und ging auf den langen schwarzen Schatten zu, der sich neben der Straße türmte wie die Öffnung einer unergründlichen Höhle.
    Das war der Packard selbst, ein Relikt ferner Vergangenheit, gestrichen in der Farbe von Schlaf und Vergeßlichkeit und von Rost zerfressen. Die klemmenden Fenster waren auf ewig offen, die Bremsen nur noch eine Erinnerung, und die Bodenplatte hatte sich zu einem zarten Gitterwerk aufgelöst, so daß das Pedalwerk im leeren Raum schwebte, während die Straße darunter vorbeizog wie ein Förderband. Dieses wahrhaftige Artefakt, das ebenso erhellend über eine vergangene Kultur Auskunft gab wie Pfeilspitzen oder Tonscherben, dieses alte Wrack hatte er im letzten Jahr in einem Schuppen hinter dem Haus seines Großvaters ausgegraben. Peletiah Crane hatte nacheinander eine ganze Reihe von Packards besessen, und dieser hier, gebaut in den späten Vierzigern, war der letzte davon. (»Nach dem Krieg haben sie nichts mehr getaugt«, schimpfte der Alte oft mit einer Vehemenz, daß sich die Flügel seiner gewaltigen Nase blähten. »Schrott. Nichts als Schrott.«) Jetzt gehörte er Tom.
    In lang gewohnter Routine hob er mühevoll die Haube hoch, stützte sie ab und entfernte dann den

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