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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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bemalten Fremden starrte, die über ihr schwebten, spürte sie eine neue und unerträgliche Erkenntnis in ihren Venen pulsieren: sie hatte sie alle getötet. Ja. Hatte sie genauso getötet, als hätte sie sie an die Wand gestellt und erschossen. Zuerst ihr Vater, und jetzt das: sie hatte mit einem Heiden das Bett geteilt, und hier war die Rache Gottes. In ihrer Not und Verzweiflung schor sie sich den Skalp mit einer geschärften Muschel und vergrub sich dann in Mohonk.
    Ihr Sohn Squagganeek 2 wurde im nächsten Jahr geboren. Seine Augen waren grün wie die von Agatha, und diese Besonderheit war Anlaß für beträchtliche Verwirrung bei den Kitchawanken. Es waren Augen der Habgier, die Augen eines Teufels, eines Zauberers, eines Weißen, so argumentierte die eine Fraktion und wollte den Säugling aussetzen, damit er die Ödnis der Welt durchwanderte. Doch eine andere Fraktion, darunter auch Wahwahtaysee, wies darauf hin, daß er der Sohn eines Häuptlingssohnes sei und daß ihm daher ein Platz innerhalb des Stammes zustehe. Wie sich zeigen sollte, war die ganze Debatte von wenig Belang. Denn es war Mohonk, und zwar Mohonk allein, der über das Schicksal seines Sohnes entschied.
    Mohonk aber benahm sich sonderbar. Seitdem sie sich das Haar abgeschnitten hatte, kam er Katrinchee verändert vor. Er war reizbar. Er war mürrisch. Mit schwerer Zunge ließ er gegen gänzlich harmlose Gegenstände endlose Tiraden los – Steine, Erdklumpen, am Boden liegendes Laub. Er trank Gin, und er wurde verrückt davon. Schnee-Eule nannte er sie und zeigte höhnisch auf ihren kahlen Kopf. Ihr Haar war von der Farbe der Bauchfedern des Falken gewesen, kupferrot, geheiligt und unerreichbar. Jetzt aber, mit dem glatten weißen Schädel, der an eine runde Zwiebel erinnerte, und den Augen, die in unendlich tiefem Kummer vor sich hin starrten, sah sie aus wie eine Schnee-Eule. Eines Nachts, nach einem Dreitagesrausch von dem Wacholderschnaps, den er in Jan Pieterses Laden geklaut hatte, kam er schwankend auf die Beine und baute sich vor Katrinchee auf, die gerade den Kleinen stillte. »Schnee-Eule«, sagte er, und der Schein des Feuers zog seine Backenknochen in die Länge und verbarg seine Augen hinter Schatten, »geh und fang dir eine Maus.« Dann raffte er den Waschbärmantel fest um sich und taumelte staksig in die Nacht hinaus. Sie sah ihn niemals wieder.
    Für die Weckquaesgeeks war sie eine heilige Närrin, eine der umherirrenden Wahnsinnigen, denen Visionen gewährt wurden. (Und Visionen hatte sie. Wenn sie fröstelnd in ihrer Hütte saß und Squagganeek die Brust gab, sah sie Harmanus mit den vom Sturz verrenkten Gliedern, wie er einen makabren Tanz aufführte; sie sah Agatha wütend den Besen schwenken; sie sah Jeremias und die gräßliche, verhärtete Narbe, in der sein Bein endete.) Am Tag nachdem Mohonk verschwunden war, hatte sie ihre Sachen gepackt, sich Squagganeek auf den Rücken geschnallt und war dem Fluß nach Norden gefolgt; zwei Tage später hatte sie mit letzter Kraft das Lager der Weckquaesgeeks erreicht, das auf einem öden, windgepeitschten Strandstück am Fuß des Suycker Broodt lag. Mit kahlgeschorenem Kopf, zerfetztem Kleid und bebenden Lippen, die pausenlos vor sich hin murmelten, kam sie ihnen vor wie eine Erscheinung, wie ein bleiches Gespenst, und alle liefen herbei, um sie und den Wechselbalg anzustarren, den sie in den Armen hielt. Erschöpft lehnte sie sich an einen Baum und sank zu Boden; nach wenigen Minuten war sie eingeschlafen.
    Als sie am Morgen aufwachte, bemerkte sie, daß jemand ihr ein Bärenfell über die Beine gebreitet und eine Schale mit Maisbrei auf den Baumstumpf neben sie gestellt hatte. Die Weckquaesgeeks – ein Stamm verwahrloster Pechvögel, die ständig Finger, Zehen und Augen einbüßten und von Seuchen heimgesucht wurden – beobachteten sie aus ehrfürchtigem Abstand. Langsam, mit zitternden Händen und rollenden Augen, hob sie die Schale zum Mund und aß. Dann, nachdem sie Gesten des Dankes gemacht und Squagganeek gestillt hatte, stand sie auf und ging daran, sich an einem Baumstamm eine primitive Hütte zu bauen. Von da an fand sie jeden Morgen eine Schale mit Kürbismus oder Störfisch oder Eichelbrei vor ihrer Tür, manchmal auch eine Taube oder ein Kaninchen (aber kein Wild – nein, niemals Wild).
    Die Zeit verging. Squagganeek wurde größer. Sie hockte in der Hütte und kaute Tierhäute weich, bis sie sich zum Verarbeiten eigneten, trug Mokassins und Lederschürze wie eine

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