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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Schädel zu wischen. »Kannte mal einen Cats drüben in Volendam. Ein übler Schnorrer. Voller Pisse und Essig.«
    Es dämmerte, und Jeremias hörte höflich zu, wie sein Stiefvater ihm eine detaillierte Schilderung der Bagatellverbrechen und Skandale gab, die auf das Konto jenes unseligen Cats – an den Vornamen dieses duyvil konnte sich Staats nicht mehr erinnern gingen, vor über zwanzig Jahren in Volendam auf der anderen Seite der Welt. Als Staats einmal Luft holte, brachte ihn Jeremias behutsam ins Hier und Jetzt zurück. »Aber was ist mit dem schout – Joost Cats?«
    Wieder hielt Staats inne. »Joost?« fragte er und suchte nach dem Zusammenhang. »Ach so, ja, Joost. Aber der hat doch keine Tochter, oder?«
    Meintje war auch keine große Hilfe. Bei der Erwähnung des schout setzte sie eine kämpferische Miene auf und gab Jeremias den Rat, die Vergangenheit lieber ruhen zu lassen. »Wenn ich du wäre«, sagte sie, »würde ich ihm nicht zu nahe kommen, und seiner Tochter auch nicht.«
    Ein Monat schleppte sich dahin. Jeremias rodete Land, brannte Baumstümpfe ab, schichtete Steinmauern auf, melkte und fütterte die Kühe, jätete das Gerstenfeld und schaufelte Mist. Er aß Fisch, Geflügel und Wild, dazu Maiskuchen, Haferbrei und bruinbrod, trank Apfelwein und ’Sopus-Ale. Er schlief auf einer Maisstrohmatratze neben Douw van der Meulen, stibitzte Tabak und probierte ihn hinter der Scheune, schwamm nackt im Van Wart Creek. Und es gab lange heiße Nachmittage, an denen er zu seinem alten Hof hinüberwanderte und stundenlang in die Asche starrte. Bei alledem aber konnte er nie das Bild von Neeltje Cats abschütteln.
    Dann kam der Tag, an dem ein pockennarbiger Kitchawanke in ausladend weiten Hosen an die Tür klopfte. Es war Mitte Juni, das Sonnenlicht wie ein feiner Schleier, und Jeremias hatte sich gerade mit der Familie zum Abendessen gesetzt. Meintje öffnete die Tür einen Spaltbreit, so wie sie in Volendam einen Hausierer empfangen hätte. »Ja?« fragte sie.
    Aber da sprang Staats schon auf. Jeremias, Douw und die drei jüngeren Kinder sahen ihn überrascht an. »Aber das ist ja der alte Jan«, sagte er, und Meintje machte die Tür ganz auf.
    Der Kitchawanke hatte kein Hemd an, sein Oberkörper war eine Landkarte aus Narben, Schürfwunden und entzündeten Insektenstichen, die Mokassins zerrissen und schlammverschmiert. Er war in der Gegend als Gelegenheitsarbeiter bekannt, der von Dorf zu Dorf zog und für einen Deut oder einen Krug Bier Botschaften überbrachte. Er hatte die Windpocken überlebt, die seinen Stamm vor dreißig Jahren dahingerafft hatten, allerdings hatte das Fieber sein Hirn aufgeweicht. Staats kannte ihn aus Jan Pieterses Laden, Meintje hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
    »Was gibt’s, Jan?« fragte Staats. »Hast du eine Botschaft für uns?«
    Der Indianer stand reglos in der Tür, das Gesicht zerschunden und mitgenommen wie ein uralter Felsblock. »Ja, ich habe eine Botschaft«, sagte er in stockendem, gebrochenem Holländisch. »Für den da«, und dabei deutete er auf Jeremias.
    »Für mich?« Jeremias stand verwirrt vom Tisch auf. Wer sollte ihm eine Botschaft senden? Außer den Nachbarsjungen und den Menschen, die um den Tisch versammelt waren, kannte er keine Menschenseele in der großen weiten Welt.
    Der alte Jan nickte. Dann drehte er sich um und zeigte auf eine Lücke in den Bäumen hinter der Scheune, und Jeremias, der jetzt mit Staats und Meintje, mit Douw und Barent, Klaes und der kleinen Jannetje an der Tür stand, sah eine hagere, in einen Waschbärfellmantel gehüllte Gestalt aus den Schatten hervortreten. »Deine Schwester«, begann der alte Jan, indem er sich zu ihm wandte, und plötzlich spürte Jeremias in seinen Ohren das Blut rauschen. Katrinchee. An sie hatte er eine Ewigkeit nicht mehr gedacht. Sie hätte ebensogut tot sein können, so vollständig war sie aus seinem Leben verschwunden. »Deine Schwester«, wiederholte der Indianer, dann verstummte er. Er sah Jeremias mit blicklosen Augen an.
    »Ja? Was ist mit ihr?« fragte Staats.
    Vom Waldrand hörte man Mohonks Stimme, drängend und keifend, und der Kopf des alten Jan schnellte hoch, als wäre er im Schlaf aufgeschreckt worden. »Sie glaubt«, murmelte er, »du wärst verbrannt und tot. Sie ist –« Wieder verlor er den Faden.
    »Jan, Jan – los, rede weiter«, knurrte Staats und packte den Indianer am Arm, aber es war der Klang von Mohonks Stimme, der ihn wieder zurückholte. Mohonk hob die Hände zum

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