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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Gegenden erzählten, zwischen Fässern mit Bier und Salzheringen, zwischen Säcken voll Gewürzen, Tuchballen und Schnapsbuddeln. Von draußen, durch die offene Tür, drangen die Stimmen von Jan Pieterse und dem Bauern Ten Haer gemächlich durch die sengend heiße Nachmittagssonne herein. Jeremias lehnte sich an einen Pelzstapel, die Angelhaken warm in seiner Hand, und schloß die Augen.
    Als er sie wieder öffnete, stand ein Mädchen vor ihm, mit dem Rücken zur Wand, und machte ein Gesicht, als hätte sie eben eine Kröte im Butternapf entdeckt. »Oh«, sagte sie, sah beiseite, suchte seinen Blick und sah sofort wieder weg. »Ich wußte nicht, daß jemand hier drin ist.« In der Hand hielt sie einen Streifen Borte, und sie trug einen schlichten Rock, ein Leinenhäubchen und eine weiße Bluse, die ihre Arme über den Ellenbogen einzwickte.
    »Ja, aber ich, äh, bin eben hier drin«, sagte Jeremias. Er kam sich blöd vor; es war, als hätte er Spinnweben im Hirn. »Äh, ich meine, ich wollte ein paar Angelhaken kaufen.« Er hielt ihr die offene Hand hin, um sie ihr zu zeigen.
    »Tja«, sagte sie, »und ich wollte Borte kaufen.« Sie schlenkerte ein schwarzes Taftband und lächelte.
    Er lächelte zurück und sagte, er habe sie noch nie hier gesehen.
    Sie zuckte die Achseln, als fände sie, das sei eben Pech für ihn gewesen, und dann hielt sie es für notwendig, auf einem Bein zu balancieren und mit dem Zeigefinger ihr Haar einzudrehen, während sie erklärte, sie wohne in Croton, nahe beim Haus der Van Warts. Als Nachsatz fügte sie hinzu: »Aber vader nimmt mich manchmal mit, wenn er hier zu tun hat.«
    Dann verstummten beide, und Jeremias wurde sich einer neuen Stimme draußen vor der Tür bewußt – einer Stimme, die er schon einmal gehört hatte, Kadenzen, die aus einem dunklen Winkel seiner Erinnerung emporstiegen. Er hörte Ten Haers Gruselgeschichten über Wolf Nysen, hörte Jan Pieterses spöttischen Kommentar dazu und dann diese andere Stimme, und es lief ihm kalt den Rücken hinab.
    »Und du?« fragte sie schließlich.
    Jan Pieterses Hund änderte mit genüßlichem Schnaufen seine Lage zwischen den Pelzen. Jeremias sah in ein Paar Augen, die so funkelten wie das Delfter Porzellan der Reichen und von einem Blau waren, so tief wie die Schelde. »Ich?« sagte er. »Ich wohne bei den van der Meulens, aber ich bin ein Van Brunt. Jeremias Van Brunt. Diesen Sommer werde ich siebzehn.«
    »Ich bin Neeltje Cats«, sagte sie. »Ich bin gerade fünfzehn geworden.« Und dann, voller Stolz: »Mein Vater ist der schout.«
    Ja. Natürlich. Der schout. Jeremias’ Blick wurde hart, und er biß die Zähne zusammen.
    »Was –?« begann sie und brach ab. Sie starrte auf sein schlaff hängendes Hosenbein. »Was ist denn mit dir passiert?«
    Er blickte auf sein Holzbein hinunter, als sähe er es zum erstenmal. Plötzlich hatte sich die Atmosphäre verändert. Er sah nicht mehr die Pelze, sondern nur die Klauen, die im wabernden Licht der offenen Tür trübe schimmerten. »Ich hatte einen Unfall«, sagte er. »Als ich vierzehn war.«
    Sie nickte, wie um zu sagen: das macht doch nichts, es ist eben eine rauhe Welt – jedenfalls waren ihre Eltern dieser Meinung. »Mein Vater sagt, Pieter Stuyvesant war auch ein großer Mann, obwohl er nur ein Bein hatte.«
    »War er auch«, sagte Jeremias. »Ist er immer noch.« Und dann spürte er auf einmal, wie sich etwas in ihm löste, irgendein Band, das ihn eingeschnürt hatte, und plötzlich spielte er den Hanswurst, sauste mit seinem Holzbein über den Boden, Haarsträhnen in den Augen und mit grimmig verzerrtem Gesicht, und schwang ein imaginäres Schwert gegen die Engländer wie der große Kämpe höchstpersönlich.
    Neeltje lachte. Rein, ungetrübt, so wunderbar wie Sphärenmusik, und bei diesem Lachen wurde er schwach. Nein, er stach sich nicht mit einem der Haken in den Finger oder fiel kopfüber in das Faß mit Schweinsfüßen in Sülze, aber schwach wurde er trotzdem. Ihr Lachen war eine Offenbarung. Er sah sie an, lachte jetzt selber, musterte sie genau, wie sie grinsend mit der Borte in der Hand dastand, und er sah seine Zukunft vor sich.
    Als er auf den Bauernhof zurückkam, fragte er als erstes Staats über sie aus. Sein Adoptivvater stand draußen vor dem Haus auf einem Stuhl und strich die Wand mit einer Tünche aus zerstoßenen Austernschalen. »Cats?« fragte er und hielt inne, um den breitkrempigen Hut nach hinten zu schieben und sich mit der Handfläche über den kahlen

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