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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Squaw und schor sich den Kopf bis auf die Haut, sobald sie beim zufälligen Hinfassen frische Borsten sprießen fühlte. Winzig klein und verdreckt war ihre Hütte, eine Brutstätte für Zecken, Sandflöhe, Schnaken und Stechfliegen, kaum besser als der Bau eines Tiers. Doch was durfte sie anderes erwarten? Es war, was ihr gebührte.
    Einmal dachte sie daran, um ihres Sohnes willen nach Van Wartwyck zurückzukehren, sich der Gnade des patroon auszuliefern und um Arbeit und ein Dach über dem Kopf zu betteln, doch sie wußte, daß sie keine Gnade finden würde. Sie war ein Indianerliebchen, eine Abtrünnige, eine Hure: was sie getan hatte, war strafbar. Die holländischen Gesetze, waren sie auch durch bislang nicht formuliertes englisches Recht ersetzt worden, verlangten für den Beischlaf mit einer Squaw eine Geldstrafe von fünfundzwanzig Gulden, die sich auf fünfzig erhöhte, sofern sie empfing, und auf einhundert, wenn sie das Kind zur Welt brachte; der Gedanke, eine weiße Frau könne mit einem dieser schmierigen, nach Moschus riechenden Wilden Unzucht treiben, war den braven Bürgern und Bauern so absolut undenkbar gewesen, daß sie sich dafür kein spezielles Strafmaß ausgedacht hatten – Verstümmelung der Gliedmaßen und Verbannung würden es zur Not schon tun.
    Und so blieb es – das Leben eine einzige Serie von Wunden, keine Freuden außer ihrem Kind, die Jahreszeiten folgten aufeinander in gleichförmiger Wiederholung –, bis eines Tages im Frühsommer eine ihrer Visionen Gestalt annahm und sie erlöste. Sie hockte in der Hütte und kaute Leder weich, Squagganeeks Weinen drang leise an ihr Ohr, während die Kinder der Weckquaesgeeks ihn wegen seiner grünen Augen und der verrückten weißen Mutter quälten, als in der Tür ein Gesicht auftauchte. Im Traum oder in der Glut des Feuers hatte sie dieses Gesicht schon tausendmal gesehen, doch jetzt war es irgendwie verändert, nicht mehr das Gesicht eines Jungen – nein, es war voller, härter, ausgeprägter. Sie kniff die Augen zusammen und murmelte eine Beschwörung. Nichts geschah. Das Gesicht hing weiterhin in der Tür, die so niedrig war, daß sich selbst ein Hund, der herein wollte, ducken mußte, hing dort wie körperlos, und die so vertrauten und doch so völlig fremden Züge furchten sich vor Schreck und Verblüffung. Sie wollte aufschreien, seinen Namen kreischen – irgend etwas tun, um den Bann zu brechen –, aber Jeremias kam ihr zuvor. Er sprach ein einziges Wort, und seine Stimme bebte ungläubig und erschüttert: »Katrinchee?«
    Staats und Meintje hatten ihn bei sich aufgenommen, hatten ihn ernährt und eingekleidet und behandelt wie eines der eigenen Kinder. Er arbeitete mit Staats und dessen ältestem Sohn Douw auf dem Feld, schwang Sense und Bügelhacke wie ein Erwachsener, dabei war er erst sechzehn und hatte mit seiner Behinderung zu kämpfen. Wenn sie sich zu Tisch setzten, schob ihm Meintje das beste Stück Fleisch oder ein Extrastück Zucker für seinen Kakao zu, und immer nötigte sie ihm einen Nachschlag auf, als wollte sie die Zeit wiedergutmachen, in der er Not gelitten und niemand für ihn gesorgt hatte. Sie gaben ihm Liebe und Hoffnung, und Jeremias vergaß es ihnen nie. Doch wenn er an Van Wart dachte, der sich an der Arbeit anderer mästete, wenn er an den buckligen schout und diesen Fettarsch von Verwalter dachte, die ihn von dem Hof vertrieben hatten, auf dem seine Eltern gestorben waren, dann spürte er den Zorn brodelnd in sich aufsteigen wie Eiter in einer Wunde.
    Zweieinhalb Jahre lebte er im Einklang mit sich, dachte weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft, schnitzte sich alle paar Monate eine neue Stütze für sein Holzbein, denn er wuchs und entwuchs dem alten Holzpflock ständig, kratzte an der Akne herum, die ihm wie Brotschimmel auf Gesicht und Nacken sproß, jagte in den Wäldern und angelte im Fluß. Doch eines Nachmittags stand er in Jan Pieterses Laden – um Angelhaken zu kaufen, wie er sich sagte, aber in Wahrheit verspürte er eine Unruhe, eine Art Atemnot, eine nie gekannte, undefinierbare Unzufriedenheit, und er wollte einfach eine Zeitlang von der Farm weg –, und all das änderte sich schlagartig. Er stand im hinteren Teil des Ladens, genoß die Gerüche, die Stille, die satten, reglosen Schatten, die wie der Hintergrund eines Gemäldes waren, das er einmal im Mittelschiff der Kirche von Schobbejacken gesehen hatte, er schlenderte zwischen den Pelzen umher, die von geheimnisvollen, wilden

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