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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Mund und rief ein zweites Mal, und der Blick des alten Jan klärte sich für einen Moment. Er betrachtete die Umstehenden abwesend und sagte: »Ein Glas Bier.«
    »Ja, ja, Bier«, sagte Staats. »Aber erst die Botschaft.«
    Jan sah sie an, als wäre er eben erst auf die Welt gekommen. »Deine Schwester«, wiederholte er nochmals, »sie ist eine Hure der Weckquaesgeeks.«
    Staats van der Meulen war ein mitfühlender Mensch. Im Haus war kein Platz für sie, aber er machte ihr in dem baufälligen Stall ein Lager, und Katrinchee kroch mit ihrem Kind ins Stroh wie eine kahlgeschorene und verlassene Madonna. Ochsen schnaubten, Kühe brüllten, Schwalben huschten durch die Schatten. Meintje biß sich auf die Lippen und ließ ihr einen Korb mit altem Brot und etwas Frischkäse bringen. »Das ist aber nur vorübergehend«, warnte sie Staats und drohte ihm mit dem Holzlöffel. »Morgen –« und hier hätte sie ebensogut eine Aussätzige oder eine Muttermörderin meinen können – »morgen ist sie wieder weg.«
    Aus morgen wurde übermorgen, und so weiter. »Wir können sie nicht einfach zu den Wilden zurückschicken«, argumentierte Staats, aber Meintje blieb hart wie Stein. Es war eine gefallene Frau, eine reulose Abtrünnige, eine Indianerhure, die man nicht in die Nähe der Kinder lassen durfte. »Ich gebe dir noch bis zum Wochenende Zeit«, drohte sie.
    Jeremias bemerkte nichts von dem Konflikt, der um ihn tobte. Er verbrachte die meiste Zeit draußen im Stall bei Katrinchee und Squagganeek, wo er die Vergangenheit wachrief, er war zu begeistert, um irgend etwas zu bemerken. Vor einer Woche noch vaterlos, mutterlos, seiner Geschwister beraubt, war sein nächster Verwandter ein Onkel in Schobbejacken gewesen, den er kaum kannte. Jetzt aber war ihm nicht nur seine Schwester wiedergegeben, sondern – Wunder über Wunder – er war zudem selbst Onkel. Stundenlang saß er bei Squagganeek, spielte Karten oder Murmeln mit dem Jungen, blickte ihm in die Augen und sah dabei Vater und Mutter, sah den kleinen Wouter vor sich. Er hegte keinerlei Zweifel: natürlich würden Staats und Meintje sie aufnehmen. Natürlich würden sie das.
    Doch als die Woche um war, nahm Meintje die Sache in die Hand. Es gab keine Tränen, keine Wutausbrüche oder Vorwürfe, kein lautes Geschrei. Als Staats und die Kinder im Morgengrauen erwachten, hörten sie das Meckern der Ziegen, die nicht gemolken worden waren, und das aufgebrachte Gackern der Hühner, die kein Futter bekommen hatten, der Ofen war kalt, und sie sahen Meintje im Nachthemd auf dem Schaukelstuhl hinten im Zimmer sitzen. Schlimmer noch, ihre Hände waren gefaltet wie zum Gebet, und sie starrte auf die Wand. »Meintje – was ist denn?« rief Staats und stürzte zu ihr. »Geht’s dir nicht gut? Hast du die Grippe?« Sie antwortete nicht. Er nahm ihre Hände. Sie waren leblos, sie waren tot. Sie starrte auf die Wand.
    Innerhalb weniger Minuten herrschte helle Aufregung. Meintje, die sich in ihrem ganzen Leben noch nie hingesetzt hatte, außer um Erbsen zu enthülsen oder Strümpfe zu stopfen, und deren Hände niemals untätig im Schoß lagen, war von irgendeiner schrecklichen Schwäche befallen – sie war zu einer lebenden Leiche geworden, taub, blind, reglos. » Moeder!« schrie Jannetje und warf sich ihr zu Füßen, während das Baby, der kleine Klaes, losheulte, als wäre ihm schlagartig der ganze Kummer dieser Welt offenbart worden. Meintje wandte ihnen nicht einmal den Kopf zu. Jeremias drückte sich unsicher im Hintergrund herum und wechselte Blicke mit Douw. Dann ging er hinaus, um nach seiner Schwester zu sehen.
    Sechs Tage lang saß Meintje so da. Niemand sah sie sich bewegen, nicht einmal aufstehen, um ihre Notdurft zu verrichten. Manchmal waren ihre Augen geschlossen; manchmal fixierten sie mit starrem Blick die Wand. Mit ihr zu sprechen – sie zu fragen, ob sie essen oder schlafen wolle, ob man einen Arzt oder ihre greise Mutter aus Volendam holen solle –, war wie mit Steinen zu reden. Währenddessen behalf sich die Familie, so gut es ging. Douw und Barent versuchten sich mit Kochen, Staats machte die Wäsche, und einmal probierte Jeremias aus reiner Verzweiflung, ein Blech mit Maiskuchen zu backen, der wie die Überreste eines Kaminbrands aussah und auch so schmeckte. In kurzer Zeit war Meintjes Küche – vordem von allen Nachbarn bewundert, immer funkelnd wie ein vereister Teich und bis in die Dielenritzen blankgescheuert – ein verwesender Morast aus Speiseresten,

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