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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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dem Laden.«
    Also hatte er den einäugigen Klepper gesattelt und die Stute aus den Stallungen des patroon geholt, und sie waren zum oberen Gutshaus aufgebrochen, zum erstenmal seit dem Frühling und dem Streitfall Crane/Oothouse. Joost fühlte sich elend. Es war ein heißer Tag, die Viehbremsen belästigten und bedrohten ihn, das Degengehenk zerrte an seiner Schulter, die Silberfeder hing ihm in die Augen, und bei jedem taumelnden Schritt seines Pferds schimpfte er vor sich hin, daß er tausendmal lieber in der Bucht beim Krebsefangen wäre, aber er ritt dennoch weiter, wie immer folgte er dem Ruf der Pflicht. Neeltje dagegen machte die Hitze nichts aus. Und die Viehbremsen auch nicht. Sie war auf dem Weg zu Jan Pieterse, und ihre Schwestern nicht. Das genügte ihr vollauf.
    Am oberen Gutshaus rasteten sie kurz, um einen Happen zu essen, und dort hinter den starken, meterdicken Mauern war es kühl wie in einem Keller. Vrouw van Bittervelt, die sich zusammen mit dem Sklaven Cubit und dessen Frau um den Haushalt kümmerte, brachte ihnen eine kalte Rahmsuppe und gebackene Krebse. Sie begrüßten Gerrit Jacobzoon de Vries und seine Familie, die den oberen Hof und die Mühle bewirtschafteten, seit der Bruder des patroon gestorben war, und dann ritten sie weiter zum Blue Rock, wo Neeltje ihre Einkäufe machen sollte, während Joost sich um die Eindringlinge auf Nysen’s Roost kümmern würde. Doch als sie ankamen, fanden sie den Handelsposten verlassen und die Tür verriegelt vor. Neeltje, die vor Enttäuschung auf der Unterlippe kaute, probierte wohl sechzehnmal, die Klinke zu drücken, und klopfte so lange an die Tür, bis Joost meinte, ihre Knöchel müßten bluten. Dann entdeckte sie Jan Pieterses Nachricht. Auf der Erde. Bin Krebse fangen, las sie laut vor. Gegen sechs zurück. Joost schüttelte den Kopf. Es war nicht einmal halb drei. Ihm blieb keine andere Wahl, als Neeltje mitzunehmen.
    Als sie die Hügel hinter dem Acquasinnick Creek hinaufritten, durch die Wälder, in denen die Phantome ermordeter Kitchawanken und der unglücklichen Töchter des Wolf Nysen spukten, sagte er ihr, er rechne zwar nicht mit Schwierigkeiten, aber zu ihrer eigenen Sicherheit solle sie nicht näher kommen als bis an den Rand der Lichtung, und unter keinen Umständen solle sie den Versuch machen, sich einzumischen oder mit diesen Leuten zu reden. Ob sie verstanden hatte? Neeltje starrte verdrießlich auf die zerklüfteten Felsen und die faulenden Baumstämme, in die Schatten, die wie dunkle Flecken im Schlund einer Höhle wirkten, und nickte. Sie interessierte sich nicht für das Grundstück und diese Leute, überhaupt waren ihr die Angelegenheiten ihres Vaters völlig egal. Wichtig war ihr nur Jan Pieterses Laden, und der mußte ausgerechnet heute, an diesem einen Tag, geschlossen haben. Sie war so enttäuscht, daß sie am liebsten gebrüllt hätte, bis ihre Lunge zersprungen wäre. Und das hätte sie auch getan, wäre sie allein gewesen – und dieser Wald nicht so unheimlich still und düster.
    Bald hatten sie den Gipfel der Anhöhe erreicht und kamen auf eine Lichtung, die von einem einzelnen hohen Baum beherrscht wurde. Zur Linken stand eine verfallene Mauer, zur Rechten eine roh gezimmerte Hütte aus frischen, gekerbten Stämmen. Es gab keinen Stall, keinen Tisch, keinen Obstgarten und kein Vieh, bis auf eine klapprige Kuh, die am Baum angebunden war. Der Hof wirkte verlassen. »Du bleibst hier!« befahl ihr Vater, dann richtete er sich im Sattel auf und trabte zur Tür. »Hallo!« rief er. »Jemand zu Hause?«
    Keine Antwort.
    Ihr Vater rief nochmals, und die Kuh glotzte ihn zornig an, ehe sie den Kopf senkte, um an einem Grasbüschel am äußersten Ende ihrer Leine zu rupfen. In diesem Augenblick erschien eine Frau hinter dem Haus, in der Hand einen Eimer. Als erstes fielen Neeltje ihre Füße auf. Sie waren nackt und verdreckt, glänzten von frischem Schlamm, als wäre sie gerade aus einem Sumpf herausgewatet oder so ähnlich. Und dann ihr Kleid – es war offensichtlich ein abgelegtes Stück, voller Flicken, ausgeblichen und verschmutzt und so abgetragen, daß die Haut durchschien. Doch das war nicht das Schlimmste. Als sich die Frau ihrem Vater näherte, bemerkte Neeltje entsetzt, daß das, was sie für eine Haube gehalten hatte, gar keine Haube war – das war kein Leinen, sondern nacktes Fleisch. Die Frau war kahl! Skalpiert, geschoren, entblößt, ihr Kopf war so glatt und blaß und kahl wie der von Pastor Van Schaik.

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