Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Stallmist und zerbrochenem Geschirr. Endlich, am Abend des sechsten Tages, sprach sie.
    Die ganze Familie erschrak. So gewohnt waren sie ihr Schweigen und ihre Reglosigkeit, daß sie ihre Anwesenheit schon fast vergessen hatten. Sie war nicht mehr die Frau und Mutter, die sie vor einer Woche gewesen war, sondern ein Möbelstück, eine Fußbank, ein Kleiderständer. Alles mögliche hatte sich rings um sie angesammelt wie Schutt: Socken, Gemüseschalen, eine halb abgekaute Karotte. Jannetjes Puppe lag mit dem Gesicht nach unten in ihrem Schoß, Klaes’ Mütze hing über der Lehne, und irgendwie war zwischen ihrer Schulter und der Armlehne das Murmelbrett eingeklemmt worden. Als sie nun die Stimme erhob, fuhren alle zusammen, als hätten die Dielenbretter aufgeächzt: »Ihr trampelt auf uns herum!«, oder als hätte der Kessel geschrien, als das Brennholz unter ihm Feuer fing. Gemessen an ihrer Wirkung war Meintjes Aussage ziemlich schlicht. Staats schlug sich an die Stirn, Jeremias überlief es kalt. Meintje sprach zur Wand, vier Worte nur, jedes davon herausgepreßt, als kostete es tausend Gulden: »Ist sie schon weg?«
    Für Jeremias war die Entscheidung klar. Er drehte sich um, polterte zur Tür hinaus und stampfte über den Hof zum Stall. Fünf Minuten später kam er wieder heraus, auf dem Rücken Squagganeek, neben sich die kahle Katrinchee mit dem wirren Blick. Er nahm nichts mit: keine Kleider, kein Werkzeug, nichts zu essen. Er blickte sich kein einziges Mal um.
    Staats brauchte fast eine Woche, um sie wiederzufinden. Er zog nach Süden bis ins Dorf Sint Sink, nach Norden bis zum Cold Spring und ostwärts bis Crom’s Pond. Er klopfte an die Türen von Bauernhäusern, steckte den Kopf in Häuslerkaten, Wigwams und Kneipen, und überall bekam er die gleiche Antwort: einen einbeinigen Burschen hatte niemand gesehen, und ein glatzköpfiges meisje oder einen kleinen Indianerbastard auch nicht – es war fast, als wären sie vom Erdboden verschwunden. Doch Staats gab nicht auf. Er mußte sie finden, mußte Jeremias sagen, wie leid es ihm tat, mußte es ihm erklären und um Vergebung bitten. Es lag an Meintje – er konnte nichts dagegen tun. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er auch für Katrinchee und ihren Bastard Platz unter seinem Dach gefunden. Das hätte er. Jeremias wußte das doch. Nur war Meintje eben eine willensstarke Frau, das war’s, eine Frau, die an ihren Prinzipien festhielt ...
    Staats war kein Freund großer Worte, doch während er durch die Wälder trottete oder an den schimmernden Schlammufern des Flusses neben seinem Pferd herging, studierte er seine Rede ein wie ein geübter Volkstribun. Wenn aber Douw nicht gewesen wäre, hätte er nie die Gelegenheit gehabt, sie zu halten. Jeremias war weder in Croton noch bei Crom’s Pond, weder in Beverwyck noch in Poughkeepsie. Das hätte ihm Douw vorher sagen können. Immerhin hatte er zweieinhalb Jahre mit ihm in einem Bett geschlafen; sie waren gemeinsam durch die Wälder gezogen, hatten in der Stube des alten Crane über Abc-Fibeln gebrütet, Kürbisse stibitzt und sich Seite an Seite an brütende Wachteln und dösende Frösche angeschlichen – Douw kannte ihn so gut wie sich selbst. Als seinem Vater endlich einfiel, ihn zu fragen, und Douw durchblicken ließ, wohin Jeremias höchstwahrscheinlich gegangen sein dürfte, war Staats zuerst völlig perplex, dann verfluchte er seine Dummheit. Natürlich: zum alten Hof.
    An diesem Abend aß Staats rasch etwas Brot und Haferbrei, bevor er sich zu Fuß auf den Weg zum Van-Brunt-Hof machte. Es dunkelte schon, als er ankam; Glühwürmchen pikten Löcher in die Schatten, knorrige Stämme schienen näherzurücken und sich wieder zu entfernen, Zikaden zirpten, Moskitos schwirrten in der Luft. Zuerst sah er gar nichts – das heißt, er sah Blätter und Bäume, die Ruinen der Hütte, die Weißeiche in vollem Saft –, doch dann, im Näherkommen, stellte er fest, daß Jeremias’ verfallener Unterstand, der Zufluchtsort seines Exils und der Verlassenheit, mit großen Stücken Ulmenrinde frisch gedeckt war. Und jetzt hörte er auch ein Geräusch, ein Kratzen oder Schaben, das von keinem Tier kommen konnte.
    Er fand Jeremias über den Kadaver eines Kaninchens gekauert, den er mit einem geschärften Stein abhäutete. Katrinchee und Squagganeek, die gerade Feuerholz gesucht hatten, sahen verwirrt auf. »Jeremias«, sagte Staats, und als ihm der Junge einen kurzen Blick über die Schulter zuwarf, waren seine Augen

Weitere Kostenlose Bücher