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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Neeltje spürte, wie es ihr den Magen umdrehte. Wie konnte eine Frau sich so etwas antun? fragte sie sich. Es war so ... so häßlich. Wegen der Läuse, deswegen vielleicht? Oder war sie eine von den Dirnen, die man aus Connecticut ausgestoßen hatte? Eine römische Nonne? Hatten die Indianer sie eingefangen und ... und sie geschändet?
    »Ich bin hier der Schultheiß«, hörte sie ihren Vater sagen, »Joost Cats heiße ich. Ich bin vom rechtmäßigen Besitzer und Gutsherrn dieses Grundstücks geschickt worden, um über Eure Anwesenheit hier Nachforschungen anzustellen.«
    Die Frau wirkte verwirrt und durcheinander, als wäre sie es, die zum erstenmal in ihrem Leben hier war, und nicht Neeltje. Verstand sie überhaupt Holländisch?
    »Ihr habt kein Recht, hier zu wohnen«, sagte Joost. »Wer seid Ihr, und woher kommt Ihr?«
    »Katrinchee«, sagte die Frau schließlich und setzte den Eimer ab. »Ich bin Katrinchee.«
    Doch dann tauchten hinter der Ecke des Hauses zwei weitere Gestalten auf – ein Kind, dunkles Gesicht und helle Augen, und ein Mann, der auf einem dreckigen Holzfuß unbeholfen daherwankte. Sie brauchte eine Weile – alles war so anders, der Ort so fremd –, bis sie ihn erkannte. Jeremias. Der Name hatte ihr schon öfter auf der Zunge gelegen. Im Frühjahr. Etwa einen Monat lang, nach ihrem letzten Ausflug, da hatte sie in den seltsamsten Momenten an ihn gedacht – in den frühen Morgenstunden, beim Beten, beim Weben oder beim Buttern. Jeremias. Aber was hatte er hier zu suchen?
    Ihr Vater war ebenso überrascht wie sie. Der schout warf den Kopf nach oben, als hätte ihn jemand am Kragen gepackt, und schnellte aus seiner gewohnten krummen Haltung hoch wie ein Stehaufmännchen. »Van Brunt?« fragte er ungläubig, mit gepreßter Stimme. »Jeremias Van Brunt?«
    Jeremias ging quer über den Hof dorthin, wo der schout auf dem einäugigen Klepper saß. Er blieb direkt vor ihm stehen, nicht mehr als einen Meter entfernt, und maß ihn mit festem Blick. »Richtig«, sagte er. »Ich bin zurück nach Hause gekommen.«
    »Aber Ihr könnt doch nicht ... Das hier ist Privatbesitz.«
    »Scheiß auf den Privatbesitz«, sagte Jeremias und bückte sich, um ein Stück Brennholz vom Boden aufzuheben. Die Frau wich zurück und drückte das Kind an sich.
    Joost riß ärgerlich an den Zügeln, und das Pferd sträubte sich und bleckte protestierend die Zähne. Der Junge war unmöglich. Ein Abtrünniger. Ein geborener Verlierer. Er zeigte keinen Respekt vor Autoritäten, hatte keine Ahnung von der Welt und besaß nichts als dieses selbstgerechte Grinsen. Joost erinnerte sich an das trotzige kleine Gesicht damals in der Tür der van der Meulens, an die frech nach vorn drängenden Schultern bei Jan Pieterse, an das Gelächter seiner Tochter und an den geschenkten Zuckerbonbon, der ihn in seinem Vaterstolz verletzt hatte. Er war außer sich. »Ihr schuldet dem patroon etwas!« schnarrte er.
    »Zur Hölle mit dem patroon«, sagte Jeremias, und das war nun zuviel für Joost. Ehe er sich’s versah, war er über ihm, das Schwert seines Amtes fuhr aus der Scheide wie ein jäher greller Lichtstrahl, die Frau umklammerte das Kind, und Jeremias torkelte vor dem sich aufbäumenden Pferd zurück. »Nein!« schrie Neeltje, und Jeremias, der das Holzscheit hochhob, um sich zu verteidigen, blickte zu ihr hin – sie sah es genau, er blickte sie an –, gerade in dem Moment, als das Schwert fiel. Auch die Frau schrie. Dann war alles still.

EHEFREUDEN
UND ANDERES
    Also suchte Walter den zwölften Erben des Van-Wart-Gutshauses auf, wie es ihm die rauchverschleierte Gestalt seiner Adoptivmutter geraten hatte, und dann, sechs Wochen später, heiratete er Jessica unter der uralten, knorrigen Weißeiche, die über Tom Cranes Hütte aufragte wie eine große gewölbte Hand.
    Eigentlich suchte er Depeyster Van Wart nicht direkt auf, sondern lief ihm unverhofft über den Weg, als wäre ihr Zusammentreffen vorherbestimmt. An jenem Vormittag stand er vom Tisch in der Küche auf, in der immer noch der Geruch von Kartoffelpuffern hing, packte seine Krücken und sagte zu Lola, genau das wolle er tun: Depeyster Van Wart fragen. Er lieh sich ihren klapprigen Volvo – War er ganz sicher? Sollte er sich nicht besser ausruhen, wo er doch gerade aus dem Krankenhaus kam und so? – und setzte über den schmalen Kiesweg zurück, vorbei an den Bäumen voller Vögel, vorbei an den kinnhohen Maisstauden, den aufgebundenen Tomatenstauden und den verstreut

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