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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Feuer in dem Hohlraum unter seinem Brustbein. Er unterdrückte einen Rülpser.
    Joanna antwortete nicht. Ein eigenartiger Blick lag in ihren Augen, ein Blick, den er aus ferner Vergangenheit kannte. Es war der Blick, mit dem sie ihn bei ihren ersten Verabredungen immer angesehen hatte, während der Flitterwochen, und als sie ein hoffnungsfrohes junges Paar mit einer pausbäckigen, gesunden kleinen Tochter gewesen waren. Sie kam quer durchs Zimmer auf ihn zu, und er bemerkte, daß ihr Haar nach Indianerart mit Streifen von Birkenrinde zu Zöpfen geflochten war. Und dann lagen ihre Hände auf seinen Schultern – sie roch nach Lagerfeuer, wilder Minze, ein gewisses urtümliches Moschusaroma der freien Natur, von dem er weiche Knie bekam –, und sie fragte ihn, mit laszivem Flüstern, ob sie ihm gefehlt habe.
    Gefehlt? Sie zog ihn an sich, hängte sich an seinen Hals wie ein Schulmädchen, drückte ihre Lippen, die leicht nach wilden Zwiebeln und Hagebutten dufteten, auf seinen Mund. Gefehlt? Seit fünfzehn Jahren hatten sie nicht mehr miteinander geschlafen, und sie fragte ihn, ob sie ihm gefehlt habe?
    Fünfzehn Jahre. Während dieser Zeit war Depeysters Sexualleben auf eine triste Serie von Paarungen reduziert gewesen, vergeudeter Samen in der Wüste, ein paar Wochenenden mit den Miss Egthuysens dieser Welt oder mit der einen oder anderen der aggressiven, sonnengebräunten Löwinnen, denen man im Country Club begegnete. Niemals aber mit Joanna, nie mit seiner Frau. Es hatte aufgehört, als sie seine Lotionen und Tinkturen und Aphrodisiaka zusammengerafft und ihm ins Gesicht geschmissen hatte, als sie seine Liebesratgeber zerrissen und seine Ovulationskalender zerfetzt hatte, als sie gefragt hatte, ob sie für ihn nichts als eine prämierte Zuchthündin, eine Gebärmaschine sei. Mardi war damals fünf oder sechs gewesen, kam gerade in die Vorschule – oder war es die erste Klasse? Von diesem Tag an schliefen sie in getrennten Räumen.
    Und nun saß sie hier, fuhr mit der Zunge über seinen Gaumen, drängte sich auf der Couch an ihn, zog ihn auf den Teppich vor dem Kamin zu Boden. War sie betrunken? fragte er sich flüchtig, als sie an seiner Hose zerrte. Sie streifte ihr Kleid ab, und er sah mit Entzücken, daß sie darunter nichts anhatte, straffe, feste Brüste, nichts an ihr warf Falten oder hing herab, dreiundvierzig Jahre alt und geschmeidig wie eine Studentin. Als sie sich auf ihn senkte, war er außer sich vor Freude, dankbar und hoffnungsfroh, seine Phantasie mit dem dicken, sommersprossigen Mädchen wurde hier auf dem Teppich im Salon mit seiner eigenen Frau Wirklichkeit, und er schloß die Augen und konzentrierte sich auf den Erben, der da kommen würde. O ja, es würde einen Erben geben. Mußte einfach. So lange hatte er gewartet, und jetzt ... es war wie im Märchen. Der geduldige Holzfäller Gepetto, Dornröschen vom Kuß des Prinzen erweckt. Glücklich überließ er sich dem Rhythmus.
    Joanna ihrerseits tat, was sie tun mußte. Sie verspürte durchaus eine gewisse nostalgische Regung bei ihrer Pflichtübung, und es war ja auch nicht direkt widerlich oder so. Sie glaubte ihn sogar irgendwie zu lieben, diesen blutleeren Mann, ihren Ehemann. Er war nicht übel – sie konnte sich nicht vorstellen, mit einem anderen verheiratet zu sein –, nur war er eben unfähig, sie anzurühren, sie in ihrem tiefsten Inneren zu erregen, er wußte oder wollte nichts wissen von Liebe, Romantik und Leidenschaft. Er war kalt, kalt wie etwas, das am Flußufer entlangkroch und mit den Scheren wackelte. Er wollte sie nicht lieben, er wollte nicht einmal ficken – er wollte sich fortpflanzen.
    Also gut. Sie war keine Molly Bloom, aber die Romantik holte sie sich seit fünfzehn Jahren anderswo. Und jetzt war es notwendig, das hier zu tun. Mit ihrem Mann. Ihrem angetrauten Ehegatten. Dem vorgeblichen Vater des Kindes, das sie gebären würde, gebären wollte.
    Denn sie war nicht bei den Indianern gewesen in den letzten zwei Tagen, war nicht zu der Demonstration gefahren, hatte in Wahrheit Peterskill gar nicht verlassen. Nein, nicht bei den Indianern. Aber bei einem Indianer, einem bestimmten Indianer, das schon.

DER KLABAUTERMANN
VOM DUNDERBERG
    Es war kein Tag für eine Vergnügungsfahrt. Der Wind heulte aus der Wildnis Kanadas herab, es war kalt genug, die Wikinger zur Umkehr zu bewegen, und der Himmel wirkte tot, dicht über den Bergen aufgespannt wie ein zum Trocknen ausgebreitetes Fell. Walter spürte seine Zehen nicht

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