Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Geschirrspüler, Elektroherd, Kühlschrank mit Abtau-Automatik – funkelte hinter ihr wie eine Reklame für das neueste Wunderputzmittel. Sie klopfte gerade auf dem Küchentisch Kalbfleisch weich, als er hereinkam. »O mein Gott, mein Gott!« jammerte sie, daß man meinen konnte, sie habe soeben ihre gesamte Familie bei einem Zugunglück verloren, »weiß gar nicht, wie mir das passieren konnte!«
    Depeyster lehnte sich gegen die blitzblanke Arbeitsplatte und verschränkte die Arme.
    »Ein Uhr nachmittags war’s, da hat sie angerufen. Irgendwas ist da oben los, ein Protestmarsch oder so was – hier, ich hab’s aufgeschrieben.« Sie stand vom Tisch auf, eine massige Frau, solide wie die Eichen neben der Auffahrt, und zog einen Zettel unter dem Telefon hervor. »Hier steht’s«, keuchte sie nach dieser Anstrengung, »›Sechs Stämme gegen den Krieg‹. Sie meinte, daß sie erst morgen um diese Zeit wieder zurück ist.«
    Sechs Stämme gegen den Krieg: was für ein Blödsinn. Er ließ die Worte eine Zeitlang auf der Zunge zergehen, ehe er sie mit bitterem, verächtlichem Beiklang nochmals aussprach. Sechs Stämme gegen den Krieg. Er konnte sich das gut vorstellen – ein Haufen arbeitsloser, angetrunkener, wohlgenährter, Plakate schwenkender Indianer in Korsarenhosen, vorneweg seine Frau mit Lockenwicklern und Perlenmokassins, und die ganze Bande marschierte in Jamestown vor dem Futtermittelgeschäft auf und ab. Wenn es nicht dem Vietcong in die Hände gespielt hätte, wäre es nahezu lächerlich. Und Joanna mittendrin. Diese Hilfsaktionen waren schlimm genug, aber das – das war würdelos. Seine eigene Gattin bei einer Demonstration. Was würde als nächstes kommen?
    »Heute gibt’s Piccata«, murmelte Lula und schlurfte zu ihrem Kalbfleisch zurück.
    »Und Mardi?« fragte er nach kurzer Pause.
    Lula zuckte nur die Achseln.
    Er blieb noch einen Augenblick stehen, hörte den Kühlschrank ächzend anspringen und starrte auf den einzelnen, anklagenden Teller auf dem Eßtisch. An der Wand über der Anrichte hing ein düsteres Ölgemälde von Stephanus Van Wart, dem Erben des patroon und ersten Lords von Van Wart Manor; er war es gewesen, der den ursprünglichen Besitz verdoppelt und verdreifacht hatte, um ihn dann nochmals zu verdoppeln und zu verdreifachen, bis ihm alle Bäche und Hügel, jeder Farn, jede Pute, jede Kröte und jede Distel zwischen dem glatten grauen Hudson und der Grenze nach Connecticut gehörten. Depeyster blickte zu den stolzen, spöttisch lächelnden Augen seines Ahnen auf und stellte fest, daß er den Appetit verloren hatte. »Gib dir keine Mühe, Lula«, sagte er. »Ich esse auswärts.«
    Als Joanna am nächsten Abend schließlich doch heimkam, war es spät – nach zehn –, und Depeyster saß vor dem warmen Kamin, blätterte lustlos in einer Biographie von General Israel Putnam, dem Mann, der im August 1777 allen Gesuchen um Milde ein taubes Ohr entgegengebracht und Edmund Palmer auf dem Galgenhügel als Spion gehängt hatte. Zweimal hintereinander hatte der Erbe von Van Wart Manor einsam in einer sauberen, hellerleuchteten Nische der Imbißstube von Peterskill zu Abend gegessen, und zum zweitenmal plagte ihn eine Magenverstimmung. Er fühlte sich überhaupt ziemlich mies – frustriert wegen der Sache mit dem Grundstück, wütend über seine Tochter (die noch nicht zurückzukehren geruht hatte), tief gedemütigt von dem Gedanken, daß seine Frau sich öffentlich zur Schau stellte, wenn auch nur im hintersten Winkel der bewohnten Welt. Als er sich daher beim Geräusch der Tür umdrehte und sich mit dem Anblick seiner verspäteten Gattin in ihrem lachhaften Indianeraufzug konfrontiert sah, gab er sich dem Poltern und Toben eines netten, heilsamen, kathartischen Wutausbruchs hin. »Wo zum Teufel bist du gewesen?« wollte er wissen, sprang auf und schleuderte das Buch zu Boden.
    Joanna trug Mokassins und Stirnband, ihre Stammesabzeichen seit der Zeit, als sie erstmals ihren Kampf im Namen der Indianer aufgenommen hatte. Jetzt aber steckte sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund darüber hinaus noch in einem zerlumpten Rehlederkleid und in Leggins. Das Kleid erinnerte ihn an einen dieser Lappen, mit denen man nach einem Wolkenbruch sein Auto trockenpoliert.
    »Nein, sag’s mir nicht – du warst auf einer Kostümparty, stimmt’s? Oder trägt so was die modebewußte Demonstrantin von heute?« Die gefüllten Paprika aus der Imbißstube drängten seine Luftröhre aufwärts und entfachten ein

Weitere Kostenlose Bücher