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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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hatte Van Wart an jenem Nachmittag im Büro gesagt. Er hatte die Frage nach den Unruhen eine halbe Stunde lang vermieden, hatte Walter geraten, etwas über Geschichte zu lesen, und ihm versichert, wo immer sein Vater sei – am Leben oder tot –, er könne jedenfalls stolz auf ihn sein. Walter, der irgendwann zwischen der Verfolgung der Kulaken und dem Fall von Chiang Kai-shek Platz genommen hatte, wollte sich gerade zum Gehen erheben, als Van Wart ihm seine Wertschätzung ausdrückte. Sie beeindrucken mich, sagte Van Wart. Sie haben Grips. Vielleicht liegen wir politisch nicht auf derselben Linie, aber das ist nicht so wichtig. Er war aufgestanden, rieb sich die Hände und strahlte wie ein Hemdenverkäufer. Ich will damit sagen, Sie haben ein Uni-Diplom, und bei mir hier ist die Stelle eines stellvertretenden Managers frei, elftausend Dollar im Jahr und alle Sozialleistungen. Und Sie brauchen nicht auf Ihrem Bein da herumzustehen. Was meinen Sie?
    Nein, hatte Walter gesagt, fast reflexartig, nein danke, denn er sah sich bereits in Schlips und weißem Kragen, hinter einem Schreibtisch verschanzt, die schwer faßbare Miss Egthuysen jederzeit zu seinen Diensten, Doug und all die übrigen Tagelöhner mit einem einzigen Schlag abgesägt, stellte sich schon den neuen Triumph TR 5 vor, schnittiges Grün, Speichenräder, von null auf hundert in neunkommadrei Sekunden ... aber für Van Wart arbeiten? Das war undenkbar. (Zwar hatte er genau das zweieinhalb Monate lang getan – aber in völliger Unwissenheit.) Nein, sagte er zu ihm. Er sei für das Angebot dankbar, aber nach dem Schock des Unfalls und so, da brauche er jetzt erst mal ein bißchen Zeit zum Erholen, ehe er einen solchen Schritt unternehme.
    Später, bei nochmaligem ÜberdenkenUberdenken, wußte er nicht recht, warum er es ausgeschlagen hatte. Elftausend Dollar waren ein Haufen Geld, und Van Wart war, trotz seines Gelabers, seiner herablassenden Art und seiner ultrarechten Allüren, trotz des Hasses, den er bei Tom Cranes Großvater, bei Hesh und Lola und all denen hervorrief, in Wirklichkeit gar nicht so übel. Kein Menschenfresser, bestimmt nicht. Kein hirnloser, steinewerfender Rassist. Er besaß einen gewissen Stil, eine Willenskraft und Gewandtheit, die Hesh wie einen Bauerntölpel erscheinen ließen. Und er glaubte an das, was er sagte, die Überzeugung lag tief in seinen Augen – zu tief für eine Lüge. Tatsächlich hatte Walter gegen Ende ihrer kleinen Plauderei begonnen, ihm gegenüber weich zu werden. Mehr noch: er hatte begonnen, ihn auf seltsame und irgendwie beunruhigende Weise zu mögen.
    Über all das dachte Walter nach, und er dachte auch darüber nach, was für eine absolut merkwürdige Aktion er hier lieferte – kaum einen Monat verheiratet, und schon schlich er sich zum Bootshafen hinunter, zum Stelldichein mit der Tochter des Ex-Menschenfressers –, da spürte er, wie ihm jemand auf die Schulter tippte. Es war Mardi. In Strickmütze und Öljacke, Matrosenschuhen, Jeans und mit schwarzen Lederhandschuhen sah sie aus, als wäre sie gerade mit der halben Handelsmarine von einem Lastkahn heruntergekommen. Bis auf ihre Augen. Die Augen steckten wie Nadeln in ihrem Kopf, hart und kalt wie Murmeln, die Pupillen zu kleinen Pünktchen geschrumpft. »Hallo«, sagte sie mit rauher Stimme, und dann küßte sie ihn. Zur Begrüßung. Aber es war kein Küßchen auf die Wange – es war eine Vereinigung erster Ordnung, bei der auch ihre Zunge mitwirkte. Walter wußte nicht, was er tun sollte, also erwiderte er den Kuß.
    »Alles klar?« fragte sie und grinste ihn an.
    »Schon«, sagte Walter und wippte auf seinem gesunden Fuß nach hinten. »Glaube ich jedenfalls.« Er zeigte vage auf den Fluß, auf den Himmel. »Willst du diese Sache wirklich durchziehen?«
    Seit der Hochzeit hatte er Mardi nur einmal gesehen. Er und Jessica und Tom Crane waren vor zwei Wochen abends im »Elbow« gewesen, hatten die Musikbox gefüttert und Pool gespielt, als Mardi mit Hector hereingekommen war. Beim Billard zu dritt spielte jeder gegen jeden, Walter war an der Reihe und nahm gerade Jessicas letzte Kugel aufs Korn, während sie herumwitzelte, von hinten sein Queue anstieß und überhaupt versuchte, ihn abzulenken, durcheinanderzubringen und zu verwirren. Mardi trug ein gebatiktes T-Shirt ohne Ärmel, ohne BH. Walter fuhr zusammen. Tom Crane jedoch flitzte hinüber und umarmte sie mit fuchtelnden Ellenbogen und schlenkernden Beinen, sein fransiger Zopf hüpfte dabei hin

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