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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Krachen der zufallenden Tür ließ den Rahmen erbeben, und dann waren sie weg.
    Depeyster sah Marguerite an. Unter der Rougetünche war sie bleich geworden, ihre Pupillen waren geweitet, und sie streckte nervös die Zungenspitze heraus. Es schien, als erwachte sie gerade aus einer Trance. Sie murmelte: »Ich, äh«, suchte ihre Sachen zusammen, raschelte mit den Papieren und griff nach dem Mantel, »ich muß jetzt weiter. Termine, Termine.«
    An der Tür setzte er an, sich für seine Tochter zu entschuldigen, doch sie winkte ab. »Siebenzwofünfzig«, sagte sie und wurde wieder etwas lebhafter. »Denk mal darüber nach.«
    Es war später Nachmittag, und er lockerte im Garten die Erde um die Rosen auf, als ihm Joanna einfiel. Bei einem Gang ins Haus, um einen Fischerhut zum Schutz vor der Sonne zu holen, war ihm flüchtig aufgefallen, daß Lula den Eßtisch nur für eine Person gedeckt hatte. Und jetzt, während er die satte schwarze Erde des Rosenbeets mit dem Spaten umwälzte, stieg das Bild dieses einsamen Essensplatzes wieder vor seinem inneren Auge auf, bis er keine Wurzeln und Lehmbrocken mehr sah, sondern das gemusterte Porzellan, das geschliffene Kristallglas, die gefaltete Serviette, das blinkende Silber. Es war sonderbar. Mardi würde nicht mitessen – würde wohl nicht einmal nach Hause kommen nach dieser Szene im Salon –, aber wo war eigentlich Joanna? Sie war am Vortag frühmorgens zur Shawangunk-Reservation aufgebrochen, der Kombiwagen bis zum Dach vollgepackt mit abgelegten Trainingsanzügen, Jeans und Korsarenhosen, die sie im Rahmen ihrer halbjährlichen Altkleider-Sammelaktion von den Nachbarn erbettelt hatte. Und das bedeutete, daß sie die Nacht wie immer im Hiawatha Motel verbracht hatte und am Abend zum Essen zurück sein würde. Wie immer. Trotzdem war er sicher, nur ein Gedeck auf dem Tisch gesehen zu haben.
    Das gab ihm Stoff zum Nachdenken, während er sich über die Rosen beugte, die Erde unten an den Stämmen zu kleinen Pyramiden aufwarf und über den Wurzeln feststampfte. Er war gerade dabei, die Laubdecke vom Vorjahr aus dem Graben rings um die Helen Traubels zu exhumieren, als sich ihm plötzlich ein Gedanke aufdrängte: sie hatte einen Unfall gehabt, das mußte es sein. Den Unfall. Den er sich immer ausgemalt hatte. Auf seinen geknechteten Blattfedern dahinschlingernd, war der Kombi in einer der tückischen Kurven der Fernstraße von der Fahrbahn abgekommen und auf dem Kopf im eisigen klaren Wasser des Beaverkill gelandet; ein Sattelschlepper war ausgeschert und hatte das Auto zerquetscht wie eine Blechdose: Joanna war nicht mehr. White Dream, La Paloma, Jack Frost – er konnte den Duft der Blüten schon riechen. Doch nein. Wenn etwas Ernstes – etwas Tödliches – passiert wäre, hätte Lula es ihm erzählt.
    Rosen. Schon Mitte Oktober, und er machte sich erst jetzt daran, die Beete für den harten Frost der kommenden Monate vorzubereiten. Nicht daß er sie vernachlässigt hätte – er schwärmte für seine Zuchtrosen, sie waren sein ganzer Stolz, den Gärtner ließ er nicht einmal in ihre Nähe –, nur war im September eben prachtvolles Wetter gewesen – ein Altweibersommer, wie er im Bilderbuch stand –, und er war praktisch jeden Nachmittag unterwegs gewesen, an Bord der Catherine Depeyster. Oder auf dem Golfplatz. Nein, ihr war ein Reifen geplatzt, das mußte es sein. Der Motor hatte einen Kolbenfresser, der Keilriemen war gerissen, und sie saß fest in Olean, Elmira oder Endicott. Er stand auf und klopfte seine Arbeitshandschuhe ab. Little Darling, Blaze, Mister Lincoln, Saratoga: allein bei den Sortennamen empfand er Befriedigung. Er würde morgen weitermachen, die Stöcke mit Sackleinen umwickeln und Dünger aufschütten. Aber wo war sie nun? Vielleicht hatte sie ihn verlassen. War verschwunden. Davongerannt. Während er den Hügel zum Haus hinaufging, übermannte ihn einen kurzen, schuldbewußten Moment lang ein kleiner Tagtraum – Mardis dicke, sommersprossige Zimmergenossin im Studentenheim, splitternackt, ihr massiger Körper war über ihm und bockte wie ein wildes Tier, und er konnte spüren, wie sein Sperma sein Ziel fand, konnte sie schon sehen – seine Söhne, die aus ihrem heißen, fruchtbaren Leib hervormarschierten wie aus der Öffnung einer urzeitlichen Höhle.
    Lula machte eine verlegene Miene, als er das fehlende Gedeck erwähnte. »Ach du gütiger Jesus, hab ich das doch völlig vergessen!« Die Küche mit all ihren Konzessionen an die Moderne –

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