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schon als gegeben, dass das ganze Ding irgendwann mit Karacho gegen die Wand knallen würde. Ein paar von ihnen – besonders Vixie und Wesson – konnten deswegen in ihren dunkleren Momenten richtiggehend ungehalten werden, wie der Ingenieur, der zum tausendsten Mal versucht zu erklären, dass schieres Glück das Risiko nicht mindert, selbst wenn es danach aussieht: Ihnen ist doch klar, Mr NASA -Chefingenieur, bloß weil Sie mit diesen Space-Shuttle-Starts immer wieder davonkommen, verringert das noch lange nicht das Risiko, dass die Kiste nicht doch irgendwann vor den Augen der nationalen TV -Gemeinde explodiert.
Was das Internet anging , und jene, die es am besten verstanden, konnte man hinter der unmittelbaren Sorge eine tief sitzende Frustration wahrnehmen, den Groll von Menschen, die jede Minute, jede Stunde und jeden Tag ihres Lebens überzeugt waren, mehr als alle anderen zu wissen, nur um dann als seltsam abgetan zu werden. Paul Vixie hatte eine Vorlesung, die unter »V ixies Internet-Schmährede« firmierte und in der er die zahllosen Fehler auflistete, welche die Architekten des Internets begangen hätten, die das Ganze als ein von gleich gesinnten, einander freundschaftlich verbundenen Kollegen gemeinsam genutztes System entwarfen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was wohl passieren würde, wenn eine Milliarde Fremde die Party stürmten.
Im Jahr 2005 präsentierte Vixie auf der Defcon 13, einem alljährlich stattfindenden Hackerkongress in Las Vegas und einer der wenigen Veranstaltungen, bei denen Computerfreaks nicht dem »Blick« begegnen, seine Schmährede: ein massiger Mann in einem schwarzen Spamarama-T-Shirt, mit einem breiten, sauber rasierten Gesicht, großen Brillengläsern, militärisch kurz geschnittenem schwarzem Haar und dichten, dunklen Augenbrauen. Er sprach mit tiefer, monotoner Stimme, die Arme eng an den Körper gepresst. Seine Rede war in höchstem Maße technisch, wirkte seltsamerweise aber gerade wegen der eigentümlichen Vortragsweise umso eindrucksvoller und war, wenn man genau zuhörte, von einem düsteren Humor durchzogen. Paul präsentierte die Geschichte der globalen digitalen Vernetzung als perfektes Beispiel für eine historische Torheit, die alle von der Historikerin Barbara Tuchman in ihrem Buch Die Torheit der Regierenden aufgeführten Kriterien erfüllte: Sie war das Werk einer Gruppe, nicht eines Einzelnen, sie folgte durchgehend dem »dummköpfigen« Kurs und nicht den anderen, offenkundig richtigen Pfaden, und der eingeschlagene Kurs stellte sich nicht etwa erst hinterher als Irrweg heraus, sondern man wusste schon seinerzeit, dass es dumm war, ihn zu beschreiten. Paul forderte die Zuhörer sogar auf, Tuchmans Buch zu kaufen, und erbot sich, ihnen den Kaufpreis höchstpersönlich zu erstatten, sollten sie es nicht beängstigend relevant finden.
»W as haben die sich dabei gedacht?«, fragte er. »Haben sie sich überhaupt etwas dabei gedacht?«
Die Regierung in Washington bezog in der Präsentation ordentlich Prügel – dafür, dass es ihr an Voraussicht und Übersicht mangelte, und für ihr notorisches Unvermögen, die Gefahr zu erkennen. Paul Vixie wäre der Erste, der Ihnen bestätigen würde, dass sich nichts daran geändert hat, und tatsächlich glänzte die Regierung der Vereinigten Staaten beim Kampf gegen Conficker vor allem durch Abwesenheit.
Es gehört zu den besonderen Eigenarten der modernen Zeit, dass die Industrieländer sich zwar mehr und mehr in allen Bereichen auf Computernetzwerke verlassen, bislang aber nur vergleichsweise wenig über deren Schutz nachgedacht haben. Die USA geben alljährlich viele Milliarden Dollar für ihren Militärapparat aus, nicht nur, um die eigenen Grenzen zu schützen, sondern um binnen kürzester Frist überall auf der Welt ihre Interessen durchsetzen zu können. Gleichzeitig sind die Telekommunikationsnetzwerke, die in zunehmendem Maße alle Aspekte des modernen Lebens unterstützen, ganz zu schweigen vom Militär selbst, erschreckend anfällig für Infiltration und Sabotage, und das nicht bloß durch Witzbolde und Cyberkriminelle, sondern auch seitens genau der Länder, die den Vereinigten Staaten aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwann als Gegner entgegentreten werden.
»Netzwerke des privaten Sektors in den Vereinigten Staaten, Netzwerke, die von zivilen US -Regierungsbehörden betrieben werden, sowie nicht geheime amerikanische Militär- und Geheimdienstnetzwerke sind in wachsendem Maße
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