Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Barock bis Klassik

Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Barock bis Klassik

Titel: Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Barock bis Klassik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brockhaus
Vom Netzwerk:
seine zwiespältigen Charakteranlagen folgendermaßen auf den Punkt gebracht: »In mir nämlich leben zwei völlig abgesonderte Wesen. Ein Dichter von der übergreifendsten, ja sich überstürzenden Fantasie und ein Verstandesmensch der kältesten und zähesten Art.« Derartige Gegensätze verschärften sich zusätzlich, weil Grillparzer in einer ausgesprochenen Umbruchszeit lebte und schrieb. In einem Epigramm von 1859 formulierte er diese Grenzerfahrung so: »Ich komme aus andern Zeiten/ Und hoffe in andre zu gehen.«
    Grillparzers an persönlichen Bindungen armes Leben, vor allem aber seine quälerische Selbstbefragung, sein Hang zur Grenzüberschreitung, an deren Ende immer Vernichtung oder Chaos stehen, lassen sich gewiss auch aus einer pathologischen Familiengeschichte heraus erklären: Seine Mutter und sein Bruder wählten den Freitod, ein anderer Bruder wurde in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. In der grausig-unheimlichen Schicksalstragödie »Die Ahnfrau« (1817) spiegelte Grillparzer derartige Katastrophen. Leidensdruck hieß die Konstante in seinem Leben. Nur in der Dichtung sah er Hoffnung und Rettung. Typisch dafür war die Beziehung zu seiner ewigen Verlobten Kathi Fröhlich, dem »schönsten Mädchen Wiens«. Überempfindlich und gehemmt, wagte er sie bis zu seinem Tod als 80-Jähriger nicht zu heiraten, aus Angst, einem Künstlertum Abbruch zu tun, das in seinen Augen nur im Stillen und in der Einsamkeit zu reifen vermochte.
    KINDHEIT UND JUGEND
    Franz Grillparzer wurde am 15. Januar 1791 – es war das Todesjahr Mozarts – in Wien geboren. Der Vater war ein vermögender Rechtsanwalt, doch 1809 verarmte die Familie. Nach der Schulzeit studierte der Junge von 1804 bis 1811 an der Universität Wien die Staats- und Rechtswissenschaften. Während der Schule und des Studiums erlebte er, wie 1806 Franz II. die Krone des Heiligen Römischen Reiches niederlegen musste und fortan nur noch Kaiser von Österreich war – das Haus Habsburg hatte seine universale Rolle faktisch verloren, Grillparzer sollte bald seine ruhmreiche Vergangenheit mythisieren. Als Student erlebte er damals Napoleons Aufstieg und später auch seinen Fall – in der Dramatik seines Geschichtsverständnisses; vor allem in dem nach Shakespeares Muster der Königsdramen gestalteten Stück »König Ottokars Glück und Ende« (1823, erst 1825 aufgeführt), reagierte Grillparzer auf diese Ereignisse.
    Nach dem Studium schlug sich Grillparzer zunächst als Privatlehrer und Bibliothekar durchs Leben, ehe er 1813 in den österreichischen Staatsdienst eintrat. Ein paar Jahre später, 1817, begann sein literarischer Ruhm mit dem Erstlingswerk, der Schicksalstragödie »Die Ahnfrau«, die, um Inzest, Vatermord, Räuberromantik, Geistererscheinungen und Traditionsbrüche kreisend, zu den meistgespielten Repertoirestücken des 19. Jahrhunderts zählte. Jetzt verschaffte ihm der Finanzminister Graf Stadion die Stellung eines Hausdichters am Wiener Burgtheater, die Grillparzer von 1818 bis 1823 innehatte. In dieser Zeit schrieb er die Sappho-Tragödie (1819), die die Verbürgerlichung des klassischen Kunstideals thematisiert, sowie die Trilogie »Das goldene Vließ« (1822), die auf die antike Argonauten-Sage zurückgreift und eine Ehetragödie zur Orgie aus Hass und Gewalt anschwellen lässt. Ein Jahr vorher war es zu einem Skandal gekommen: In dem Gedicht »Campo vaccino«, einer Elegie über die in den römischen Ruinen zum Ausdruck kommende Vergänglichkeit, hatte Grillparzer die heidnische Antike in kultureller Hinsicht über das Christentum gestellt. Dies brachte ihm in der Staatskanzlei den Verdacht der Ketzerei ein. Bei Kaiser Franz II. war er fortan abgeschrieben.
    Seither wurde er bei entscheidenden Beförderungen übergangen. Als 19-Jähriger wollte er noch rebellieren: »Fliehen will ich dies Land der Erbärmlichkeiten, des Despotismus und seines Begleiters, der dummen Stumpfheit, wo Verdienste mit der Elle der Anciennität gemessen werden, und man nichts genießen zu können glaubt, als was essbar ist …, wo Vernunft ein Verbrechen ist und Aufklärung der gefährlichste Feind des Staates.« Wenige Jahre später resignierte er: »Einer meiner Hauptfehler ist, dass ich nicht den Mut habe, meine Individualität durchzusetzen. Über dem Bestreben, es allen recht zu machen und mich ja im Äußerlichen nicht zu sehr von den andern zu unterscheiden, werde ich endlich wie die andern und die Gewohnheit macht gewöhnlich.« Der anfangs

Weitere Kostenlose Bücher