Worte bewegen die Welt
Hauptquelle war die altfranzösische »Bataille d’Aliscans«, ein verschiedentlich überliefertes Heldenepos aus dem Zyklus um Guillaume d’Orange. Der historische Held der französischen Wilhelms-Epik ist Wilhelm von Toulouse, der unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen in Südfrankreich gegen die Sarazenen zu Felde zog, 793 eine Niederlage erlitt, später in Spanien weiterkämpfte und in dem von ihm gegründeten Kloster Gellone 812/813 im Ruf der Heiligkeit starb. Wolfram löste seinen Stoff aus dem französischen Wilhelm-Zyklus, indem er den Anlass der Schlacht von Aliscans bei Arles – die Entführung der Königin Arabel, ihre Konversion zum Christentum und ihre Ehe mit Wilhelm – und deren Einbindung in die Wilhelm-Geschichte reduziert wiedergab. Er lässt das Epos mit der Landung der Heiden an der Küste und dem Sieg ihres Königs Terramer über die Christen unter der Führung Willehalms, des Markgrafen von Orange, beginnen. Willehalms Neffe Vivianz stirbt im Kampf als Märtyrer, aus seinen Todeswunden dringt der Duft von Heiligkeit. Gegen etliche Widerstände gelingt es Willehalm, mit Unterstützung des römischen Königs Ludwig und seiner Verwandten ein Heer aufzustellen. Rennewart, Terramers entführter Sohn, der am Hof des christlichen Königs Knechts- und Küchendienste verrichtet und heimlich die Königstochter Alyze liebt, zwingt das zurückweichende Heer der Christen auf das Schlachtfeld zurück. Das Epos bleibt Fragment und endet abrupt: Am Tag nach seinem Sieg wird Rennewart vermisst; seiner Schwester Arabel-Gyburg hat er sich nicht zu erkennen gegeben; Willehalm lässt die gefallenen Heidenkönige zu Terramer bringen und gibt die gefangenen Fürsten frei.
Mit dem Einleitungsgebet an die Dreifaltigkeit stellt Wolfram eine Verbindung zum »Rolandslied« des Pfaffen Konrad her, das ebenso beginnt und ebenfalls von einer Schlacht unter Karl dem Großen gegen die Heiden erzählt. In beiden Dichtungen spielen die Kreuzzugsidee, das Martyrium, diverse Legendenmotive und der Vorrang des Christentums über andere Religionen entscheidende Rollen, doch findet Wolfram zu einer abweichenden Bewertung: Die Heiden repräsentieren kein Teufelsreich, handeln aus ernsthaften politischen und religiösen Motiven, dürfen nicht »wie Vieh« erschlagen werden, sondern haben als Geschöpfe Gottes Anspruch auf Duldung, auch wenn dem Christentum der Wahrheits- und Würdevorsprung zukommt und der Kampf gegen die Heiden verdienstvoll ist. Wolfram zeichnete den Heidenkrieg nicht nur als Kreuzkrieg, sondern auch als Reichskrieg – Terramer bedroht das Römische Reich –, und so stehen nicht Bekehrungsabsichten, sondern die Verteidigung von Glauben und Reich im Interesse der Krieg führenden Herrscher.
HAUPTWERKE
1200–1210 Parzival, Lieder
1210–1220 Willehalm
nach 1220 Titurel
TITUREL
Wolframs »Titurel« besteht aus zwei Fragmenten und ist in drei Handschriften überliefert. Die Fragmente hängen inhaltlich nicht zusammen und sollten wohl als Teile in eine größere Dichtung eingefügt werden. Um 1270 wurden die insgesamt 175 erhaltenen Strophen des »Titurel« von einem Dichter Albrecht zu dem aus 6327 Strophen bestehenden »Jüngeren Titurel« unter Beibehaltung der älteren Fragmente erweitert und als eine Dichtung Wolframs ausgegeben. Dieser »Jüngere Titurel« ist in elf vollständigen Handschriften und 45 Fragmenten überliefert und galt seit dem 14. Jahrhundert als Wolframs Hauptwerk. Von entsprechend großem Einfluss war nicht nur der »Titurel« als das erste höfische Epos in Strophen, sondern auch die »Titurel-Strophe« (variable Langzeilenstrophe), die sich in über 20 spätmittelalterlichen Dichtungen wiederfindet. Es haben sich unsichere Hinweise auf eine Melodie gefunden, nach der die »Titurel-Strophen« gesungen worden sein könnten.
Das erste Fragment setzt mit einer Klage des alten Gralkönigs Titurel und einer Genealogie des Gralsgeschlechts ein und berichtet dann von der Kinderminne zwischen Sigune und Gahmurets Knappen Schionatulander, die sich bei der Hochzeit Herzeloydes (Parzivals Mutter) mit Gahmuret kennen lernen. Beide leiden unter ihrer Trennung und werden von Dritten in ihrer Liebe bestärkt. Im zweiten Fragment läuft Sigune ein Jagdhund namens Gardeviaz zu, dessen Halsleine die Unglücksgeschichte der früheren Besitzer erzählt. Der Hund reißt sich los, ehe Sigune zu Ende gelesen hat, woraufhin sie Schionatulander ihre Minne verspricht, wenn er Hund und Leine
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