Worte bewegen die Welt
Dichterfreunden schon rasch die überkommenen Formen der Liebeslyrik aus der Provence und aus Sizilien nicht mehr. Zwar zeigen Dantes erste Dichtungen noch deutlich deren Einflüsse, aber die Suche nach einer Vergeistigung, einer Überhöhung der Liebe veränderte die Sprachrituale der »Getreuen Amors«, brachte jenen lyrischen Gestus hervor, den Bonagiunta Orbicciani aus Lucca den »süßen neuen Stil« nennen wird: Abstrakt und entsinnlicht führt die Liebe zu Läuterung und Veredelung, wird die Frau zur Mittlerin individuell erreichbarer Vollendung, entkörperlichtes Geistwesen mit sakraler, priesterlicher Funktion.
Dantes »Das neue Leben«, dem »ersten Freunde«, Guido Cavalcanti, gewidmet, ist geradezu das Manifest dieser neuen Dichtung. Das frühestens 1292 und spätestens 1295 entstandene Werk enthält 31 Texte, 25 Sonette, aber auch eine Ballata und fünf zum Teil fragmentarische Kanzonen, die der Autor seit 1283 verfasst hat. Sie werden mittels einer Prosaerzählung in eine Reihenfolge gebracht, die dem Ablauf der Begegnung zwischen Dante und Beatrice vom ersten Sehen und Grüßen über die Verweigerung des Grußes durch Beatrice bis hin zu ihrem Tod entspricht. Viele Gedichte erhalten darüber hinaus eine ebenfalls in Prosa abgefasste Erklärung zu ihrer Struktur und zu ihrer Bedeutung.
ÖFFENTLICHE ÄMTER UND PARTEIENSTREIT
Für Papst Bonifatius VIII., der Florenz begehrte, stellte die Stadt im Jahr 1300 »die Quintessenz der Welt« dar. Handel und Banken hatten sie reich gemacht, Zuwanderer ihr die beachtliche Einwohnerzahl von nahezu 100 000 beschert. Die politischen Zustände waren durch die jahrzehntelange Herrschaft der Guelfen geprägt, die den Aufstieg des Bürgertums begünstigten, allerdings gleichzeitig auch durch ihre Spaltung in »Schwarze« und »Weiße« vielfachen Anlass zu innerstädtischem Zwist um Geld und Macht gaben.
Im Juli 1295 erweiterte eine neue Regelung der Stadt Florenz den Kreis der Personen, die sich in eine der Zunftlisten eintragen konnten. Dante, der übrigens in diesem Jahr Gemma Donati heiratete, schrieb sich in die der Ärzte und Apotheker ein und konnte sich dadurch aktiv am politischen Leben der Stadt beteiligen. So ist er von 1295 bis 1301 in mehreren Räten der Stadt als führendes Mitglied nachgewiesen, trat im Jahr 1300 als Botschafter in San Gimignano in Erscheinung und wurde zeitweilig Prior von Florenz.
Aber die Streitigkeiten zwischen schwarzen und weißen Guelfen entzündeten sich auch an Fragen politischer Bündnisse und an dem Anspruch der Kirche auf weltliche Machtausübung, nachdrücklich in der Gestalt von Papst Bonifatius VIII. verkörpert. Während die Weißen diesen Anspruch mehr oder weniger entschieden ablehnten, sahen die Schwarzen in der Unterstützung des Papstes eine Möglichkeit, wieder an die Macht zu kommen. Dante, im Rahmen der städtischen Politik zweifellos auf Ausgleich bedacht, sprach sich unter den Weißen mit am deutlichsten gegen die Position des Papstes aus. Diesem Widerstand setzte der päpstliche Gesandte Matteo d’Acquasparta im September 1300 den vor allem wirtschaftlich bedrohlichen großen Kirchenbann entgegen.
Zum eigentlichen Schicksalsjahr Dantes wurde 1301. Seine politischen Aktivitäten mehrten sich, seine Ablehnung der päpstlichen Machtpolitik gewann immer schärfere, entschiedenere Umrisse, zugleich wurde die Schar seiner Anhänger kleiner. Seine flammenden Reden für den Erhalt der kommunalen Freiheitsrechte bewahrten Florenz jedoch ebenso wenig vor der Katastrophe wie die florentinische Gesandtschaft, als deren Leiter er Ende Oktober 1301 in Rom eintraf, um dem Papst ein gewisses Einlenken zu signalisieren. Der hatte sich nämlich schon längst der Unterstützung durch Karl von Valois versichert, um sich auch noch die Toskana untertan zu machen. Am 1. November 1301 traf der jüngere Bruder Philipps des Schönen in Florenz ein und die Schwarzen sahen ihre Chance gekommen: Sie zerstörten Besitztümer der Weißen in der Stadt und in der Region und ermordeten deren Anhänger. Nach dem 7. November übernahmen die Schwarzen alle bis dahin von Weißen besetzten politischen Ämter. Dante entging dem ersten Ausbruch ihrer Gewalttätigkeit wohl nur dadurch, dass der Papst ihn aus undurchsichtigen Gründen als Einzigen aus der florentinischen Delegation an seinem Hof festgehalten hatte. Aber der Hass, den die Schwarzen gegen ihn hegten, war einfallsreich und gnadenlos. In der ersten Januarhälfte 1302 klagte man ihn,
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