Worte bewegen die Welt
seiner Folterung mit einer Krücke anstatt mit einem Mädchen tanzen muss. Zu den auch heute noch beliebten Liedern gehören darüber hinaus ein Rückblick des fast 40-Jährigen auf sein bisheriges Leben mit »toben, wüten, tichten, singen mangerlai« (Kl 18), ein darauf Bezug nehmendes Lied über seine politische Isolierung auf der von »Wald umfangenen« Burg Hauenstein, genervt vom Winter, einer hässlichen Dienerschaft, schreienden Kindern und der über ihren zornigen Mann empörten Mutter (Kl 44), des Weiteren ein anderes Hauenstein-Lied (Kl 116), in dem er den Blick auf Schneeschmelze und erwachenden Frühling beschreibt – das wohl erste moderne und individuelle Naturgedicht in deutscher Sprache –, oder ein politisches Kampflied (Kl 85), in dem er von einem siegreichen, wenn auch letztlich folgenlosen Ausfall der belagerten Gebrüder Wolkenstein aus der Burg Greifenstein (hoch gelegen zwischen Meran und Bozen) berichtet.
ZEUGNISSE
Oswald von Wolkenstein gehört zu den besonders gut dokumentierten Persönlichkeiten des späten Mittelalters: Die vielen hundert Lebenszeugnisse, vor allem Urkunden, Akten und Briefe, werden seit 1999 durch eine Gruppe Grazer Wissenschaftler in einer auf vier Bände angelegten Werkausgabe veröffentlicht. Daneben stehen die zahlreichen Lieder und Liedstellen, die deutlich mit Oswalds Biografie zusammenhängen; seine Werke sind heute in mehreren Ausgaben und Übersetzungen zugänglich, zahlreiche seiner Lieder wurden auf Schallplatte und CD eingespielt.
DER MYTHOS VOM SÄNGER MIT DER EISENHAND
In Südtirol wurde Oswald von Wolkenstein zur Hauptperson einer Sage gemacht. Der ladinische Mythos vom Sänger »Eisenhand« (»Man de Fyèr«) handelt davon, wie der junge Oswald infolge seiner unglückseligen Liebe zu der Elfe Antermòya vom Zauber erlöst wurde, der ihn am Singen gehindert hatte, gleichzeitig aber sein Lebensglück verlor.
Auch sonst hat der Wolkensteiner die schöpferische Fantasie von Autoren (Hans Mumelter, Dieter Kühn, Felix Mitterer), Komponisten (Cesar Bresgen, Wilfried Hiller) und Bildenden Künstlern (Markus Vallazza) angeregt. Seine Sorge, man könnte ihn später vielleicht vergessen, was er ja auf verschiedene Weisen zu verhindern suchte, war also unbegründet (Holzstich Oswalds von Wolkenstein nach einer Zeichnung von Eduard Luttich von Luttichheim; Berlin, Sammlung Archiv für Kunst und Geschichte).
Neben den vielen historischen und poetischen Texten ist Oswald durch individuell-realistische Abbildungen bezeugt, vor allem durch ein qualitätvolles, in Oberitalien um 1432 gemaltes Tempera-Porträt, das er seiner zweiten Liedersammlung voranstellen ließ. Dieses Bild zeigt nicht nur seine Ordensmitgliedschaften – im Greifen- bzw. Kannenorden von Aragon sowie im Drachenorden von Kaiser Siegmund –, sondern auch seine physiognomischen Beeinträchtigungen, wie das fehlende rechte Auge sowie eine etwas missgestaltete Unterlippe. Beides erwähnt Oswald auch bildreich in seinen Liedern.
Der Wolkensteiner hat sich anscheinend geradezu systematisch darum bemüht, die Erinnerung an seine Person zu bewahren: Unter seiner persönlichen Aufsicht ließ er in zwei kostbar ausgestatteten Pergamenthandschriften die Texte und Melodien seiner rund 130 Lieder in unterschiedlichen Versionen aufzeichnen, die von ihm selbst autorisiert wurden (Handschriften A und B in Wien und Innsbruck). Auch das Leben des einäugigen Wolkensteiners ist in einer Vielzahl von Quellen ausreichend dokumentiert. Wie bereits bei seinen Liedern legte Oswald den Grundstock zu dieser außergewöhnlich reichen Hinterlassenschaft selbst, indem er seine Korrespondenz, Akten, Urkunden sowie Rechnungsbücher und Besitzverzeichnisse in einem Archiv sammelte und schließlich seinen Erben hinterließ. Darüber hinaus ließ er die erwähnten bildlichen Darstellungen anfertigen und stiftete ein Benefizium im Dom zu Brixen. Am 2. August 1445 starb Oswald von Wolkenstein in Meran und wurde seinen Wünschen entsprechend im Kloster Neustift bei Brixen, mit dem er lange als Schutzvogt verbunden war, standesgemäß begraben.
FRANÇOIS RABELAIS
MEISTER DER FABULIERKUNST
Rabelais’ humoristischer Romanzyklus »Gargantua und Pantagruel« ist einer der bedeutsamsten Beiträge des Humanismus zur Weltliteratur. Der vielseitige Gelehrte Rabelais zeigt darin sowohl den Geist der italienisch-französischen Renaissance mit der Lust auf Leben, dem Wissensdurst, der Freiheit zur Kritik und der Bekämpfung von
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