Worte bewegen die Welt
Landadels. Nach dem Tod seines Landesherren Friedrich IV., des Herzogs in Tirol, in dessen Auseinandersetzung mit König Siegmund er zeitweise verwickelt war, war er ab 1444 sogar einer der fünf »Verweser« der zentralen Urkunden im Rechtsstreit zwischen dem jungen Herzog und dessen Vormund, König Friedrich III.
Im zarten Alter von zehn Jahren verließ Oswald sein Elternhaus und führte ein abenteuerliches Wanderleben, wobei er vermutlich bis in den Vorderen Orient gelangte. Um 1400 kehrte er nach Tirol zurück. 1415 trat Oswald in den Dienst des römisch-deutschen Königs Siegmund (ab 1433 Kaiser). Er wurde von diesem als Verbindungsmann zum Tiroler Adel eingesetzt und bezeichnete sich stolz als königlicher »Rat«.
Ein erbitterter Streit um seinen Anteil an der Burg Hauenstein, seinem unterhalb des mächtigen Schlernmassivs gelegenen späteren Wohnsitz, brachte ihm Gefangenschaft und wohl auch schlimme Misshandlungen ein: Dieser Besitzstreit wurde infolge der massiven Auseinandersetzungen zwischen Herzog Friedrich IV. und dem um seine Rechte kämpfenden Tiroler Landadel zu einem in Urkunden gut bezeugten existenziellen Problem für Oswald. Gemäß seinen Aussagen vermischte sich dies alles noch in unheilvoller Weise mit einer privaten Liebesaffäre. Nach weitgehender Klärung dieser Fragen und nach einer für ihn demütigenden Unterwerfung unter die Macht des herzoglichen Landesherren war er in seinen späteren und etwas ruhigeren Jahren in Tirol ein wichtiger Landespolitiker und anerkannter Fachmann für Rechtsfragen.
DIE TROSTBURG
Auf einer der schönsten Burgen Südtirols, der Trostburg, soll der Minnesänger Oswald von Wolkenstein einen Teil seiner Jugend verlebt haben, woran heute eine Marmortafel in der Burg erinnert. Die ältesten Teile der Burg wurden im 12. Jahrhundert gebaut, Ende des 16. Jahrhunderts wurde sie erweitert und zu einer befestigten Renaissanceresidenz umgebaut.
Die Burg, die über der Schlucht des Grödner Tales steht, überragt den Ort Waidbruck, der am Schnittpunkt von fünf historischen Wegen liegt, darunter auch die alte Brennerroute.
›Hebe das Glas hoch und lass uns trinken, damit wir uns nicht so von diesem guten Wein trennen. Auch wenn er uns die Schenkel lähmt, er muss doch hinein. Herr Becher, folgt unserem Wink! Auch wenn wir ins Bett schwanken, so ist das keine große Not.‹
zweite Strophe von Oswald von Wolken steins Sauflied
DER LIEDERDICHTER
Oswald hat etwas mehr als 130 Lieder sowie ein umfangreiches Gedicht über Rechtsfragen hinterlassen. Fast alle Gattungen der mittelhochdeutschen Lyrik hat er aufgegriffen und in vielen Fällen weiterentwickelt: Liebeslieder aller Art, Lieder über eigene Erlebnisse einschließlich der Reisen, Tanz- und Trinklieder. Auch Lieder zu politischen Ereignissen und Problemen, zu religiösen Themen sowie insgesamt zu Fragen der richtigen und falschen Lebensführung stammen aus seiner Feder. Zu seinen Lebzeiten war sein Werk fast ausschließlich in seiner Umgebung bekannt, aber nach der modernen »Wiederentdeckung« seiner Lieder im 19. Jahrhundert galt er zunehmend als einer der bedeutenden deutschsprachigen Autoren des späten Mittelalters: Seine Werke rechnet man heute, zusammen mit dem »Ackermann aus Böhmen« des Johannes von Tepl sowie dem »Ring« des Konstanzer Juristen Heinrich Wittenwiler, zu den poetischen Gipfelleistungen deutscher Sprache im späten Mittelalter und an der Grenze zur Neuzeit.
DER SÄNGER
Nach mittelalterlicher Lyriktradition verfasste Oswald zu seinen Liedtexten auch die dazugehörigen Melodien. Seine Werke waren ursprünglich nicht zum Lesen, sondern für den Vortrag und das Zuhören bestimmt, und er trug sie auch regelmäßig selbst vor: Er vereinigte also – wie damals üblich – die Funktionen des Textdichters, des Musikers und des Sängers, vergleichbar den modernen Liedermachern und Chansonniers. Die Melodien, für deren fast vollständige Aufzeichnung er gleichfalls sorgte, haben eine dienende Funktion zur Vermittlung der Worte, besitzen aber dennoch hohe Qualität: Er gilt als Schöpfer des deutschen »Individualliedes«, da die Melodien oft dem jeweiligen Liedinhalt angepasst sind.
Die Anzahl der von Oswald überlieferten Melodien ist ungewöhnlich hoch, für das deutschsprachige Mittelalter nur noch zu vergleichen mit Neidhart (Anfang 13. Jahrhundert) oder dem Mönch von Salzburg (14. Jahrhundert). Nach den wenigen Beispielen für frühe Mehrstimmigkeit in den weltlichen Liedern des
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