Worte bewegen die Welt
machten ihn in der gelehrten und vornehmen Gesellschaft berühmt. Am 1. November 1532 wurde er zum Arzt des Krankenhauses Hôtel-Dieu in Lyon ernannt.
Rabelais bearbeitete darüber hinaus auch Manuskripte des französischen Hofdichters Jean Marot, der Liebesdichtungen schrieb, und veröffentlichte selbst zwei Liebesgedichte, die er Marot widmete. Daneben verfertigte er auch einen astronomischen Kalender des Jahres 1533, seinen »Almanach pour l’an 1533«. Die in dieser Zeit ebenfalls entstandenen astrologischen und medizinischen Studien Rabelais’ bereiteten die Prinzipien und den Stil seiner künftigen poetischen Schriften vor, mit der ihnen eigenen karnevalesken Mischung von Hoch- und Volkskultur, Fachsprache und Umgangssprache sowie religiösen und sexuellen Symbolen.
GARGANTUA UND PANTAGRUEL
Seine ausgeprägte intellektuelle Aktivität im Jahr 1532 beschloss Rabelais mit der Veröffentlichung des ersten Bandes seines Romanzyklus in Lyon, der Hauptstadt der französischen Renaissance, unter dem Titel »Die schrecklichen Heldentaten von Pantagruel, König der Dipsodier [griechisch für Durstige] und Sohn des großen Riesen Gargantua, neukomponiert von Meister Alcofrybas Nasier«. Im Lauf seines Lebens hatte es sich Rabelais zur Gewohnheit gemacht, ständig seine Decknamen zu ändern, unter denen er seine Werke herausgab, um seine wahre Identität zu verschleiern und vermutlich auch um sich den Anschein der Weisheit eines Alchimisten zu geben. Diese Decknamen bildete er durch Umstellung der Buchstaben seines richtigen Namens, so genannte Anagramme – er nannte sich M. Alcofribas oder Alcofrybas Nasier, dann wieder Seraphino Calbarsy (so im »Kalender und Voraussagen des Jahres 1541«). Die Bezeichnung »neukomponiert« im Titel des ersten Romans sollte in vorgespiegelter Bescheidenheit des Autors andeuten, dass er keine wirklich neue Geschichte erzähle. Zwar nutzte Rabelais wahrscheinlich ein möglicherweise von ihm mit herausgegebenes, 1532 erschienenes Volksbuch mit der damals bekannten Sage des Riesen Pantagruel, »Les grandes et inestimables chroniques du grand et enorme géant Gargantua« (»Große und unglaubliche Geschichten des Helden und Riesen Gargantua«), doch verfasste er nicht einfach eine neue Version der Abenteuer Pantagruels. Das Werk stellt vielmehr eine genaue Beschreibung der kollektiven Vorstellungen seiner Zeit dar, die aus lustigen Abhandlungen, familiären Briefen, Sittenlisten, akademischen Gesprächen und scharfen Kritiken der gesellschaftlichen Zustände besteht.
LITERARISCHE EINFLÜSSE
Angeregt wurde Rabelais’ »Gargantua und Pantagruel« durch ein von ihm möglicherweise mit herausgegebenes, 1532 unter dem Titel »Les grandes et inestimables chroniques du grand et enorme géant Gargantua« erschienenes Volksbuch mit der Sage vom Riesen Pantagruel, die auch in volkstümlichen Dramen verwendet wurde. Besonders die Schilderung der Erziehung, der Studien und der Waffentaten des jungen Helden zeigen deutliche Einflüsse.
Das Handlungsschema verweist aber auch auf die mittelalterliche Heldendichtung und den altfranzösischen Ritterroman sowie deren Parodien. Stoffe lieferten dem umfassend gebildeten Rabelais auch die Bibel, die klassisch antike Literatur, antike Geheimlehren, mittelalterliche Farcen, Mysterienspiele, italienische Renaissance-Epen, zeitgenössische Reiseliteratur und Werke humanistischer Autoren.
Im Oktober 1533 wurde »Pantagruel« von der Sorbonne und von dem Schweizer Reformator Calvin wegen angeblicher Obszönität verboten. Ebenso sollte es den folgenden Bänden des Zyklus ergehen. »Das höchst schreckliche Leben des großen Gargantua, Vater von Pantagruel«, geschrieben im Jahr 1533 und trotz der Verfolgung durch die Kirchen zwischen 1534 und 1535 veröffentlicht, ist keine Fortsetzung des ersten Buches, sondern enthält die Vorgeschichte von Pantagruel. Der anonyme Autor, »Abstracteur de Quinte Essence«, spielt mit dem Leser (»sehr geehrter Trinker«) und lässt ihn eine aktive Rolle bei der Lektüre der teilweise philosophischen Texte einnehmen. Die Figur des Riesen Gargantua nutzte Rabelais hier, um seine Auffassungen von der Souveränität der Staaten und der Unabhängigkeit von Rom darzustellen. »Alles Ding hat seine Zeit! Was gestern hoch war, wird erniedrigt heute!« In dieser Staatsutopie kann der Riese ohne Einmischung des Papstes die Probleme der Bevölkerung lösen und sogar neue religiöse Behörden und Institutionen verbieten oder gründen.
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