Wovon träumt ein Millionär?
„Was …“
Das Gesicht ihres Vaters – verschlafen und verwirrt – tauchte vor ihr auf. „Was machst du hier, mein Mädchen?“
„Schlafen.“
„Warum?“
Mary warf einen Blick auf ihre Betty-Boop-Uhr, die sie zusammen mit der Lampe zu ihrem zwölften Geburtstag von ihren Eltern bekommen hatte. „Weil es vier Uhr in der Nacht ist“, sagte sie.
Hugh ließ sich auf die Bettkante sinken und strich sich durch sein zerzaustes Haar. „Ich meine, warum bist du hier und nicht in deiner Wohnung?“
Richtig. Mary blickte sich in ihrem Kinderzimmer um. Seit sie mit neunzehn von zu Hause ausgezogen war, hatte sich hier nichts verändert. Dieselben rot karierten Vorhänge und dieselbe weiße Kommode. Als sie die alte Xanadu-Schallplatte in der Ecke beim Plattenspieler entdeckte, huschte ein kleines Lächeln über ihr Gesicht.
Ihr Vater räusperte sich.
Verlegen sah sie ihn an. „Na gut, ich bin geflüchtet.“
„Tatsächlich?“, fragte er und hob die Augenbrauen.
„Vor einem Typen.“ Eigentlich vor einem Mann, einem hinreißenden, faszinierenden Mann. Und dieser Mann wollte sie in sein Bett locken – beinahe genauso sehr, wie er das nicht vorhandene Kind in ihrem Bauch wollte. Mary seufzte leise. Was für ein Durcheinander. Sie zog die alte weiße Daunendecke höher.
„Du willst mir nicht erzählen, warum du vor dem Kerl geflüchtet bist, oder, mein Mädchen?“
Mit aufeinandergepressten Lippen schüttelte sie beinahe trotzig den Kopf. Wie sollte sie ihm das erklären? Ihr Dad würde nicht verstehen, was sie getan hatte. Er würde nicht verstehen, wie weit sie gegangen war, um ihm zu helfen. Oder noch schlimmer: Er würde es verstehen und sich schuldig fühlen. Womöglich würde ihn dieses Schuldgefühl noch tiefer in seine Verzweiflung treiben, die ihn schon jetzt manchmal lähmte.
„Du brauchst einfach ein bisschen von der Geborgenheit deines Elternhauses, habe ich recht?“, fragte er schließlich.
Dankbar lächelte sie ihn an. „Wenn es dir nichts ausmacht, Pop?“
„Du weißt, dass du hier immer willkommen bist, mein Mädchen.“ Einen Moment lang hielt er inne und blickte Mary besorgt an. „Ich möchte nur nicht, dass du zu oft vor deinen Problemen davonläufst. Davon wird es nur schlimmer.“
„Ich weiß.“
„Ich liebe dich, mein Mädchen.“
„Ich liebe dich auch, Pop.“
Als ihr Vater schließlich die Tür ihres Kinderzimmers hinter sich schloss, ließ Mary sich in die Kissen sinken. Sie betrachtete den Mond. Es war derselbe Mond, den sie schon von Kindesbeinen an durch dieses Fenster zu- und wieder abnehmen gesehen hatte. Mary schluckte. Der scheinbar einzige Weg, ihren Vater vor dem Gefängnis oder vor einer Gerichtsverhandlung zu bewahren, hatte sich zu einem Albtraum entwickelt. Zu einem Albtraum, aus dem sie endlich aufwachen wollte. In der nächsten Woche hatten sie und Ethan ein Treffen. Und Mary hatte eine Entscheidung getroffen. Egal, wie schwierig es werden würde: Sie würde nicht länger vor der Wahrheit davonlaufen. Sie würde ihm alles sagen.
Der Wind, der über den See wehte, zerrte an Marys Haaren.
Es war Sonntagmorgen.
Den Sonntag nutzte Mary für gewöhnlich, um ausgiebig Zeitung zu lesen, Kaffee zu trinken und dabei süße Brötchen zu naschen. Doch als Ivan Garrison sie angerufen und um ein Treffen auf seiner Yacht gebeten hatte, hatte sie bereitwillig zugestimmt. Tatsache war, dass sie sich nach einer Aufgabe sehnte, um sich von den Gedanken an Ethan abzulenken.
Sie waren zweimal über den See gesegelt, als Ivan schließlich den Hafen ansteuerte. Über den Wind und die spritzende Gischt hinweg schrie Mary: „Das ist toll! Ich denke, dass Ihre Gäste sehr beeindruckt sein werden, Captain!“
Ivan grinste sie an. „Nicht nur von der Segel-Gala, hoffe ich.“
Verwirrt fragte sie: „Was meinen Sie damit?“
„Ich habe mich dazu entschlossen, Ihren Rat anzunehmen und aus der Veranstaltung ein Charity-Event zu machen.“
Mary nickte. Also hatte der Captain doch ein Herz. Beinahe schockiert musste sie sich eingestehen, dass er wohl doch mehr als ein Lamborghini fahrender Playboy war. Das musste sie unbedingt Olivia erzählen.
„Also werden alle Startgelder wohltätigen Zwecken zugeführt?“, hakte sie nach, als Ivan in den Hafen einfuhr und ganz langsam zum Anleger segelte, wo er festmachte.
„Meine Finanzberater haben mir versichert, dass das eine tolle Steuerersparnis bringt.“
Er war also doch nicht Mutter Teresa. Aber wenigstens hatte er
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