Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
Teller? Ach ja, zwei draußen auf der Terrasse und deiner hier drin. Stimmt’s?«
    Ich las beim Essen. Ich hatte hinten im Besenschrank einen Stapel alter Zeitschriften gefunden –
Life
und
Look
und
Time
und
Collier’s
. Ich merkte Mrs Mountjoy an, wie wenig es ihr behagte, dass ich in diesen Zeitschriften las, während ich mein Mittagbrot aß, aber ich wusste nicht genau, warum. Hielt sie es für schlechte Manieren, zu essen, während man las, oder war es, weil ich nicht um Erlaubnis gefragt hatte? Eher wohl empfand sie mein Interesse für Dinge, die nichts mit meiner Arbeit zu tun hatten, als eine subtile Form von Unverschämtheit. Überflüssig.
    Sie sagte nur: »Diese alten Zeitschriften müssen schrecklich staubig sein.«
    Ich sagte, dass ich sie immer abwischte.
    Manchmal war zum Mittagessen ein Gast da, eine Freundin, die von einer der nahe gelegenen Inseln herübergekommen war. Ich hörte Mrs Mountjoy sagen: »… muss die Mädchen bei Laune halten, sonst machen sie sich davon zum Hotel, zum Hafen. Da finden sie nur zu leicht Arbeit. Es ist nicht mehr wie früher.«
    Die andere Frau sagte: »Wohl wahr.«
    »Also muss man Zugeständnisse machen«, sagte Mrs Mountjoy. »Man geht mit ihnen um, so gut man kann.« Ich brauchte einen Augenblick, um zu merken, von wem sie redeten. Von mir. Mit »Mädchen« waren Mädchen wie ich gemeint. Daraufhin fragte ich mich, womit ich bei Laune gehalten wurde. Mit den gelegentlichen, beängstigenden Bootsfahrten, wenn Mrs Mountjoy einkaufen fuhr? Mit der Erlaubnis, Shorts und eine Bluse oder sogar nur einen Top zu tragen statt einer Uniform mit weißem Kragen und weißen Manschetten?
    Und welches Hotel meinte sie? Welchen Hafen?
     
    »Was kannst du am besten?«, fragte Mary Anne. »Welche Sportart?«
    Nach kurzer Überlegung sagte ich: »Volleyball.« Wir mussten in der Schule Volleyball spielen. Ich war nicht besonders gut, aber es war meine beste Sportart, denn es war meine einzige.
    »Ach, ich meine doch nicht Mannschaftssport«, sagte Mary Anne. »Ich meine, was kannst du am besten. So wie Tennis. Oder Schwimmen oder Reiten oder was? Mein Bestes ist eigentlich Reiten, weil es da nicht so auf die Sehkraft ankommt. Tante Margarets Bestes war Tennis, und Omas war auch Tennis, und Opas war schon immer Segeln, und Daddys ist Schwimmen, glaube ich, und Onkel Stewarts ist Golf und Segeln, und Mutters ist Golf und Schwimmen und Segeln und Tennis und alles, aber vielleicht ist Tennis ein bisschen ihr Allerbestes. Wenn meine Schwester Jane nicht gestorben wäre, also, ich weiß ja nicht, was ihrs geworden wäre, aber es hätte Schwimmen sein können, denn sie war erst drei und konnte schon schwimmen.«
    Ich war noch nie auf einem Tennisplatz gewesen, und die Vorstellung, auf einem Segelboot hinauszufahren oder auf ein Pferd zu steigen, versetzte mich in Angst und Schrecken. Ich konnte schwimmen, aber nicht besonders gut. Golf war für mich etwas, das lächerlich aussehende Männer in Witzzeichnungen taten. Die Erwachsenen, die ich kannte, spielten niemals irgendetwas, das Körpereinsatz erforderte. Sie setzten sich hin und ruhten sich aus, wenn sie nicht arbeiteten, und das kam nicht oft vor. Obwohl sie an Winterabenden unter Umständen Karten spielten. Binokel. Schafskopf. Spiele, die Mrs Mountjoy bestimmt nie spielte.
    »Alle, die ich kenne, arbeiten zu schwer, um irgendeinen Sport zu treiben«, sagte ich. »Wir haben in unserer Stadt nicht mal Tennisplätze und auch keinen Golfplatz.« (Tatsächlich hatten wir früher beides gehabt, aber während der Weltwirtschaftskrise war kein Geld zu ihrer Unterhaltung übrig gewesen, und sie waren seitdem nicht wieder instand gesetzt worden.) »Niemand, den ich kenne, hat ein Segelboot.«
    Ich erwähnte nicht, dass meine Stadt ein Eishockeystadion und eine Baseball-Anlage besaß.
    »Ist wahr?«, sagte Mary Anne nachdenklich. »Was machen die denn dann?«
    »Arbeiten. Und sie haben nie genug Geld, ihr ganzes Leben lang.«
    Dann erzählte ich ihr, dass die meisten Leute, die ich kannte, außer in öffentlichen Gebäuden noch nie ein Wasserklosett gesehen hatten, und dass manchmal alte Leute (also Leute, die zu alt zum Arbeiten waren) den ganzen Winter über im Bett bleiben mussten, um nicht zu erfrieren. Kinder liefen barfuß, bis der Frost einsetzte, um Schuhleder zu sparen, und starben an Bauchschmerzen, die in Wirklichkeit Blinddarmentzündungen waren, weil ihre Eltern nicht das Geld für einen Arzt hatten. Manchmal aßen die Leute

Weitere Kostenlose Bücher