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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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zum Anlass, die er verlegt oder fallen gelassen oder an denen er sich gestoßen hatte. »Wo zum Teufel ist denn …?«, sagte er dann, oder: »Du hast nicht zufällig den … das … gesehen?« Es schien, als habe er auch den Namen des Gegenstandes, den er suchte, verlegt oder sich gar nicht erst eingeprägt. Um sich zu trösten, nahm er sich mitunter eine Handvoll Erdnüsse oder kleiner Brezeln oder was gerade dastand, und aß Handvoll um Handvoll, bis alles verschwunden war. Dann starrte er die leeren Schalen an, als versetzten auch sie ihn in Erstaunen.
    Eines Morgens hörte ich ihn sagen: »Wo zum Teufel ist denn das …?« Er polterte auf der Dachterrasse herum.
    »Dein Buch?«, fragte Mrs Mountjoy im Ton heiterer Selbstbeherrschung. Sie trank ihren Vormittagskaffee.
    »Ich dachte, ich hätte es hier draußen«, sagte er. »Ich hab doch darin gelesen.«
    »Das Buch des Monats?«, fragte sie. »Ich glaube, das hast du im Wohnzimmer gelassen.«
    Sie hatte recht. Ich saugte gerade im Wohnzimmer Staub und hatte kurz zuvor ein Buch aufgehoben, das halb unter das Sofa gerutscht war. Sein Titel lautete
Sieben phantastische Geschichten
. Der Titel machte mir Lust, es aufzuschlagen, und sogar während ich das Gespräch der Mountjoys mit anhörte, las ich, hielt mit einer Hand das Buch aufgeschlagen und führte mit der anderen den Staubsauger. Sie konnten mich von der Dachterrasse aus nicht sehen.
    »Oh, nein, ich spreche aus dem Herzen«, sagte Mira. »Seit langer Zeit habe ich versucht, Gott zu verstehen. Jetzt habe ich mit ihm Freundschaft geschlossen. Um ihn wahrhaft zu lieben, muss man den Wandel lieben, und man muss Scherze lieben, denn dies sind die wahren Neigungen seines eigenen Herzens.«
    »Da ist es ja«, sagte Mr Mountjoy, der ausnahmsweise einmal ins Zimmer gekommen war, ohne gegen die Möbel zu stoßen – oder ohne dass ich es gehört hatte. »Braves Mädchen, du hast mein Buch gefunden. Jetzt erinnere ich mich. Gestern Abend habe ich es auf dem Sofa gelesen.«
    »Es lag auf dem Fußboden«, sagte ich. »Ich habe es gerade aufgehoben.«
    Er muss mich lesen gesehen haben. Er sagte: »Es ist ein eigenartiges Buch, aber manchmal möchte man ein Buch lesen, das nicht wie alle anderen ist.«
    »Ich konnte nichts damit anfangen«, sagte Mrs Mountjoy, die mit dem Kaffeetablett hereinkam. »Wir müssen hier aus dem Weg gehen und sie mit dem Staubsaugen weitermachen lassen.«
    Am selben Abend fuhr Mr Mountjoy zurück aufs Festland und in die Stadt. Er war Bankdirektor. Was offenbar nicht bedeutete, dass er in einer Bank arbeitete. Am Tag nach seiner Abreise sah ich überall nach. Ich suchte unter den Sesseln und hinter den Vorhängen, für den Fall, dass er das Buch zurückgelassen hatte. Aber ich konnte es nicht finden.
     
    »Ich dachte immer, es muss schön sein, das ganze Jahr hindurch hier oben zu wohnen, so wie du«, sagte Mrs Foley. Sie musste mich wieder als das Mädchen besetzt haben, das die Lebensmittel brachte. An manchen Tagen sagte sie: »Ich weiß jetzt, wer du bist. Du bist das neue Mädchen, das der Holländerin in der Küche hilft. Aber es tut mir leid, ich kann mich beim besten Willen nicht an deinen Namen erinnern.« Und an anderen ließ sie mich vorbeigehen, ohne mich zu begrüßen oder auch nur das leiseste Interesse zu bekunden.
    »Früher sind wir im Winter hergekommen«, sagte sie. »Die Bucht war zugefroren, und es gab einen Weg über das Eis. Wir sind auf Schneeschuhen gelaufen. Heutzutage macht das niemand mehr. Oder doch? Auf Schneeschuhen laufen?«
    Sie wartete die Antwort nicht ab. Sie beugte sich zu mir vor. »Kannst du mir etwas sagen?«, fragte sie verlegen, fast im Flüsterton. »Kannst du mir sagen, wo Jane ist? Ich habe sie schon so lange nicht mehr hier herumlaufen sehen.«
    Ich sagte, ich wisse es nicht. Sie lächelte, als neckte ich sie, und streckte die Hand aus, um mein Gesicht zu berühren. Ich hatte mich heruntergebeugt, um ihr zuzuhören, aber in dem Moment richtete ich mich auf, und ihre Hand streifte stattdessen meine Brust. Es war ein heißer Tag, und ich trug mein Top, sodass sie meine bloße Haut berührte. Ihre Hand war leicht und trocken wie ein Holzspan, aber ihr Fingernagel zerkratzte mich.
    »Ich bin sicher, es ist alles in Ordnung«, sagte sie.
    Danach winkte ich ihr nur zu, wenn sie mich ansprach, und ging eilig meines Weges.
    An einem Samstagnachmittag gegen Ende August gaben die Mountjoys eine Cocktailparty. Die Party wurde zu Ehren der Freunde

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