Wozu wollen Sie das wissen?
ich jetzt las, nicht so schwer und anspruchsvoll waren wie die Bücher, die ich ein Jahr zuvor gelesen hatte. Ich las die Kurzgeschichten von A. E. Coppard – eine davon hatte einen Titel, den ich bis heute verlockend finde, obwohl mir sonst nichts davon in Erinnerung geblieben ist. »Die düstere Ruth«. Und ich las einen Kurzroman von John Galsworthy, auf dessen Titelseite eine Zeile stand, die mich betörte.
Der Apfelbaum, der Gesang und das Gold
…
Wenn ich auf der Hauptstraße alles erledigt hatte, besuchte ich meine Großmutter und Tante Charlie. Manchmal – meistens – wäre ich lieber spazieren gegangen, aber ich hatte das Gefühl, sie nicht vernachlässigen zu dürfen, da sie doch so viel taten, um mir zu helfen. Außerdem konnte ich ohnehin nicht verträumt herumlaufen, anders als in der größeren Stadt, in der ich aufs College ging. Zu jener Zeit ging niemand in der Stadt spazieren, nur traditionsbewusste alte Männer, die die Straßen durchmaßen und jedes neue Bauvorhaben kritisch in Augenschein nahmen. Man fiel unweigerlich auf, wenn man irgendwo in dieser Stadt ohne bestimmten und bekannten Grund herumlief. Dann hieß es: »Hab dich neulich gesehen«, und es wurde eine Erklärung erwartet.
Und doch zog mich die Stadt an, sie hatte in diesen Herbsttagen etwas Träumerisches. Sie war verzaubert, mit melancholischem Licht auf den grauen oder gelben Ziegelmauern und einer besonderen Stille, jetzt, wo die Vögel nach Süden gezogen waren und die Mähdrescher ringsum schwiegen. Eines Tages, als ich die Christena Street hinaufging, zum Haus meiner Großmutter, hörte ich in meinem Kopf einige Sätze, den Anfang einer Geschichte.
Überall in der Stadt fielen die Blätter. Sanft und stumm fielen die gelben Blätter – es war Herbst
.
Und ich schrieb auch eine Geschichte, damals oder etwas später, die mit diesen Sätzen begann – worüber, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, wie jemand mich darauf hinwies, natürlich sei es Herbst und mithin überflüssig und verklemmte Poesie, es ausdrücklich zu erwähnen. Warum sonst sollten die Blätter fallen, es sei denn, die Bäume in der Stadt litten an einer Laubkrankheit?
Als meine Großmutter jung war, wurde ein Pferd nach ihr benannt. Das war als eine Ehre gemeint. Der Name des Pferdes und der meiner Großmutter war Selina. Das Pferd – natürlich eine Stute – galt als
Tanzbein
, was bedeutete, dass es lebhaft und energiegeladen war und dazu neigte, eigenwillig herumzutänzeln. Meine Großmutter muss ebenfalls ein »Tanzbein« gewesen sein. Es gab damals viele Tänze, bei denen sich diese Neigung zur Schau stellen ließ – Squaredances, Polkas, schottische Tänze. Und meine Großmutter muss ohnehin eine bemerkenswerte junge Frau gewesen sein – sie war groß, vollbusig, mit schmaler Taille, langen, kräftigen Beinen und dunkelroten, ungebärdig gelockten Haaren. Und jenem kühnen Fleck Himmelblau in einer Iris ihrer haselnussbraunen Augen.
Etwas in ihrem Wesen muss all diesen Dingen entsprochen und sie noch verstärkt haben, und bestimmt war es das, was der Mann zum Ausdruck bringen wollte, als er ihr das Kompliment machte, seiner Stute ihren Namen zu geben.
Dieser Mann war nicht der, von dem es hieß, er sei in sie verliebt (und von dem es hieß, sie sei in ihn verliebt). Sondern nur ein bewundernder Nachbar.
Der Mann, in den sie tatsächlich verliebt war, war allerdings nicht der Mann, den sie heiratete. Nicht mein Großvater, sondern jemand, den sie ihr Leben lang kannte, und ich bin ihm sogar einmal begegnet. Vielleicht in meiner Kindheit sogar mehrmals, aber erinnern kann ich mich nur an das eine Mal.
Das war, als ich bei meiner Großmutter zu Besuch war, in ihrem Haus in Downey. Und nachdem sie Witwe geworden war, aber bevor Tante Charlie auch eine wurde. Denn als alle beide Witwen waren, zogen sie zusammen in die Stadt, an deren Rand wir wohnten.
Normalerweise war es Sommer, wenn ich in Downey zu Besuch war, aber das geschah an einem winterlichen Tag mit leichtem Schneefall. An einem frühwinterlichen Tag, denn es lag kaum Schnee auf dem Boden. Ich dürfte fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Meine Eltern müssen mich tagsüber bei meiner Großmutter gelassen haben. Vielleicht gingen sie auf eine Beerdigung oder brachten meine kleine Schwester, die zart und leicht zuckerkrank war, zu einem städtischen Arzt.
Am Nachmittag gingen wir über die Straße zu dem Haus, in dem Henrietta Sharples wohnte. Es war das
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