Wozu wollen Sie das wissen?
größte Haus, in dem ich je gewesen war, und das Grundstück, das dazu gehörte, reichte von einer Querstraße bis zur anderen. Ich freute mich auf den Besuch, denn ich durfte dort frei herumlaufen und mir anschauen, was ich wollte, und Henrietta stellte immer eine Schale mit Sahnebonbons hin, die in glänzendes rotes oder grünes oder goldenes oder violettes Papier eingewickelt waren. Wenn es nach Henrietta gegangen wäre, hätte ich sie alle aufessen dürfen, aber meine Großmutter passte auf und setzte eine Grenze.
Heute machten wir einen Umweg. Statt zu Henriettas Hintertür gingen wir zu einem Häuschen auf ihrem Grundstück, neben ihrem Haus. Die Frau, die uns öffnete, hatte einen Wust weißer Haare, erhitzte rosa Haut und einen breit gewölbten Bauch, über dem eine Latzschürze hing, wie sie damals die meisten Frauen im Haus trugen. Mir wurde befohlen, sie Tante Mabel zu nennen. Wir setzten uns in die Küche, in der es sehr heiß war, zogen aber nicht die Mäntel aus, denn es sollte nur ein kurzer Besuch sein. Meine Großmutter hatte etwas in einer Schüssel unter einer Serviette mitgebracht, was sie Tante Mabel gab – es können frische Muffins gewesen sein oder Teeplätzchen oder etwas warme Apfelsoße. Und der Umstand, dass wir es mitgebracht hatten, bedeutete nicht, dass Tante Mabel auf solche milden Gaben angewiesen war. Wenn eine Frau gebacken oder gekocht hatte, nahm sie oft eine Kostprobe davon mit, wenn sie in das Haus ihrer Nachbarin ging. Sehr wahrscheinlich protestierte Tante Mabel gegen solche Großzügigkeit, wie es üblich war, um dann, nach der Annahme, viel davon herzumachen, wie gut es roch und wie gut es schmecken würde, was immer es sein mochte.
Dann begab sie sich daran, etwas Eigenes anzubieten, und bestand darauf, zumindest eine Tasse Tee zu bereiten, und mir ist so, als hörte ich meine Großmutter sagen nein, nein, wir seien nur auf einen Sprung vorbeigekommen. Möglich, dass sie erklärte, wir seien auf dem Weg zum Haus der Sharples. Vielleicht nannte sie den Namen nicht und ließ auch nicht durchblicken, dass wir dort einen richtigen Besuch abstatten wollten. Und sagte nur, dass wir nicht bleiben konnten, weil wir auf der anderen Seite vorbeischauen wollten. Als hätten wir noch Besorgungen zu erledigen. Von ihren Besuchen bei Henrietta sprach sie immer nur als von einem Gang auf die andere Seite, um ja nie den Eindruck zu erwecken, sich mit dieser Freundschaft zu brüsten. Damit
anzugeben
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Aus dem Holzschuppen am Haus war ein Geräusch zu hören, dann kam ein Mann herein, gerötet von der Kälte oder der Anstrengung, sagte hallo zu meiner Großmutter und gab mir die Hand. Ich hasste es, wenn alte Männer mich mit einem Pieks in den Bauch oder einem Kitzeln unter den Armen begrüßten, aber sein Händedruck war herzlich und nicht zudringlich.
Das war eigentlich alles, was mir an ihm auffiel, außer dass er groß war und nicht so dick um den Bauch wie Tante Mabel, obwohl er wie sie dichte weiße Haare hatte. Er hieß Onkel Leo. Seine Hand war kalt, wahrscheinlich davon, für Henriettas Öfen Holz zu spalten oder Säcke um ihre Sträucher zu binden, um sie vor dem Frost zu schützen.
Erst später erfuhr ich, dass er Derartiges für Henrietta erledigte. Die Außenarbeiten im Winter – Schnee schippen und Eiszapfen abschlagen und Holzvorräte heranschaffen. Und im Sommer die Hecken schneiden und den Rasen mähen. Im Gegenzug wurde ihm und Tante Mabel das Häuschen mietfrei überlassen, und vielleicht erhielt er auch noch etwas Geld dafür. Er tat das zwei Jahre lang, bis zu seinem Tod. Er starb an Lungenentzündung oder Herzversagen, jedenfalls an etwas, woran Leute in seinem Alter damals üblicherweise starben.
Ich sollte ihn Onkel nennen, ebenso wie ich seine Frau Tante nennen sollte, und ich zweifelte nie daran und fragte auch nie nach dem Zustandekommen dieser Verwandtschaft. Nicht zum ersten Mal war ich mit einem Onkel oder einer Tante konfrontiert, die geheimnisvolle Randerscheinungen blieben.
Onkel Leo und Tante Mabel konnten noch nicht lange da gewohnt haben, mit dieser Beschäftigung von Onkel Leo, als meine Großmutter und ich bei ihnen vorbeischauten. Anlässlich früherer Besuche bei Henrietta hatten wir nie von dem Häuschen oder den Leuten, die darin wohnten, Notiz genommen. Also ist es durchaus möglich, dass meine Großmutter Henrietta diese Regelung vorgeschlagen hatte.
Ein gutes Wort eingelegt hatte
, wie die Leute gesagt hätten. Ein gutes Wort
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