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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Vorfahren über den Atlantik gekommen war.
    Wer weiß, sagte meine Großmutter.
    Ein Hunger nach Geschichte, sogar nach Familiengeschichte, stand bei ihr nicht hoch im Kurs. All solche Dinge waren Luxus, Zeitverschwendung – wie das Lesen des Fortsetzungsromans in der Tageszeitung, was sie selbst tat, aber dennoch missbilligte.
    Der andere Schrankkoffer war neu, mit Metallecken, gekauft für diesen Anlass. Er war ein Geschenk von Tante Charlie – ihr Einkommen war größer als das meiner Großmutter, was nicht hieß, dass es sehr groß war. Gerade genug, um für gelegentliche ungeplante Käufe zu reichen. Einen Sessel fürs Wohnzimmer, bezogen mit lachsfarbenem Brokat (von einer Plastikplane geschützt, wenn kein Besuch erwartet wurde). Eine Leselampe (der Schirm ebenfalls in Plastik gehüllt). Mein Schrankkoffer zur Hochzeit.
    »Das ist ihr Hochzeitsgeschenk?«, sagte mein Mann später. »Ein
Schrankkoffer
?« Denn wenn man in seiner Familie so etwas wie einen Schrankkoffer brauchte, ging man los und kaufte es. Und machte es nicht zum Geschenk.
    Die Dinge in dem buckligen Schrankkoffer waren zerbrechlich und in andere Dinge eingewickelt, die nicht zerbrechlich waren. Geschirr, Gläser, Krüge, Vasen, in Zeitungspapier eingewickelt und darüber hinaus geschützt von Geschirrtüchern, Badetüchern, gehäkelten Zierdeckchen, gestrickten Wolldecken und bestickten Platzdeckchen. Im großen, glatten Schrankkoffer steckten hauptsächlich Bettwäsche, Tischdecken (eine davon war ebenfalls gehäkelt), Quilts, Kopfkissenbezüge, auch einige große, flache, zerbrechliche Dinge wie ein gerahmtes Bild, gemalt von Marian, der Schwester von Großmutter und Tante Charlie, die früh gestorben war. Das Bild zeigte einen Adler auf einem einzelnen Ast, mit blauem Meer und federigen Bäumen tief darunter. Marian hatte es im Alter von vierzehn Jahren aus einem Kalender abgemalt, und im folgenden Sommer war sie an Typhus gestorben.
    Einige dieser Dinge waren früh eingetroffene Hochzeitsgeschenke von Mitgliedern meiner Familie, doch die meisten waren Dinge, die für meine Aussteuer angefertigt worden waren. Die Quilts, die gestrickten Wolldecken, die gehäkelten Sachen, die Kopfkissenbezüge mit ihrer kratzigen Stickerei. Ich hatte nichts davon hergestellt, doch meine Großmutter und Tante Charlie waren am Werk gewesen, obwohl es um meine Aussichten eine Zeit lang schlecht gestanden hatte. Und meine Mutter hatte ein paar verzierte Wassergläser, einige Teelöffel und eine Servierplatte mit blauweißer, chinesischer Landschaft beiseite getan, in der kurzen, euphorischen Phase, als sie mit Antiquitäten gehandelt hatte, bevor die Starre und das Zittern ihrer Gliedmaßen jede Geschäftstätigkeit – dann das Autofahren, das Gehen und schließlich sogar das Sprechen – zu schwierig machten.
    Die Geschenke von der Familie meines Mannes waren von den Geschäften, in denen man sie gekauft hatte, verpackt und nach Vancouver geschickt worden. Silberne Serviertabletts, schwere Tischtücher, ein halbes Dutzend Weingläser aus Kristall. Haushaltsgegenstände, wie meine Schwiegereltern und deren Freunde sie um sich gewohnt waren.
    Nichts in meinen Schrankkoffern konnte, wie sich herausstellte, kritischen Blicken standhalten. Die Wassergläser meiner Mutter waren aus Pressglas und die chinesische Servierplatte aus schwerem Küchenporzellan. Solche Dinge kamen erst viele Jahre später in Mode, und für manche Leute nie. Die sechs Teelöffel aus dem neunzehnten Jahrhundert waren kein Sterlingsilber. Die Quilts waren für ein altmodisches Bett gemacht, schmaler als das Bett, das mein Mann für uns gekauft hatte. Die gestrickten Wolldecken und die Zierdeckchen und die Kopfkissenbezüge und – ich brauche es kaum zu sagen – das aus dem Kalender abgemalte Bild grenzten an einen Witz.
    Immerhin gab mein Mann zu, dass alles gut verpackt gewesen war, nichts war zerbrochen. Er war peinlich berührt, bemühte sich jedoch, nett zu sein. Später, als ich versuchte, einige dieser Dinge so unterzubringen, dass sie von allen, die zu Besuch kamen, gesehen werden konnten, musste er deutlich werden. Und ich sah es ein.
     
    Ich war neunzehn Jahre alt, als ich mich verlobte, zwanzig an meinem Hochzeitstag. Mein Mann war der erste feste Freund, den ich je gehabt hatte. Meine Aussichten waren nicht rosig gewesen. Im selben Herbst reparierten mein Vater und mein Bruder den Deckel auf dem Brunnen in unserem Hof, und mein Bruder sagte: »Wir müssen das ordentlich

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