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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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machen. Denn wenn dieser Jüngling reinfällt, findet sie nie wieder einen anderen.«
    Und das wurde ein Lieblingswitz in der Familie. Natürlich lachte ich auch. Aber die Besorgnis derer um mich herum war zumindest zeitweilig auch eine meiner Sorgen gewesen. Was gab es an mir auszusetzen? Mein Aussehen war es nicht. Etwas anderes. Etwas anderes, schrill wie eine Warnglocke, verscheuchte die möglichen Freunde und potenziellen Ehemänner. Ich vertraute jedoch darauf, dass es, was es auch sein mochte, sich legen würde, sobald ich von zu Hause fort war und fort aus dieser Stadt.
    Und das war auch geschehen. Plötzlich und überwältigend. Michael hatte sich in mich verliebt und war fest entschlossen, mich zu heiraten. Ein großer, gut aussehender, kräftiger, schwarzhaariger, intelligenter, ehrgeiziger junger Mann hatte seine ganze Hoffnung auf mich gesetzt. Er hatte mir einen Diamantring gekauft. Er hatte eine Stellung in Vancouver gefunden, die versprach, zu Höherem zu führen, und er hatte sich verpflichtet, für mich und unsere Kinder zu sorgen, sein Leben lang. Nichts würde ihn glücklicher machen.
    Sagte er, und ich hielt es für wahr.
    Die meiste Zeit über konnte ich mein Glück kaum fassen. Er schrieb, dass er mich liebe, und ich schrieb zurück, dass ich ihn liebe. Ich dachte daran, wie hübsch und klug und vertrauenswürdig er war. Unmittelbar vor seiner Abreise hatten wir miteinander geschlafen – nein, Sex gehabt, auf dem holperigen Erdboden unter einer Weide am Ufer des Flusses, und wir glaubten, dass dies ebenso viel bedeutete wie eine Trauung, denn wir konnten von nun an unmöglich dasselbe mit irgendjemand anders tun.
     
    Dies war der erste Herbst seit meinem sechsten Lebensjahr, in dem ich meine Wochentage nicht in der Schule verbrachte. Ich blieb zu Hause und besorgte den Haushalt. Da wurde ich auch dringend gebraucht. Meine Mutter war nicht mehr fähig, einen Besenstiel zu halten oder die Decke über ein Bett zu ziehen. Sie würden sich jemand suchen müssen, sobald ich fort war, aber bis dahin bürdete ich mir alles auf.
    Der Alltagstrott hüllte mich ein, und bald fiel es mir schwer zu glauben, dass ich noch vor einem Jahr am Montagmorgen an einem Bibliothekstisch gesessen hatte, statt früh aufzustehen, um auf dem Herd Wasser für die Waschmaschine heiß zu machen und später die nassen Sachen durch die Wringmaschine zu ziehen und schließlich auf die Leine zu hängen. Oder dass ich mein Abendbrot an einem Drugstore-Tresen eingenommen hatte, ein Sandwich, zubereitet von jemand anders.
    Ich bohnerte das abgetretene Linoleum. Ich bügelte die Geschirrtücher und Schlafanzüge ebenso wie die Hemden und Blusen, ich scheuerte die verbeulten Töpfe und Pfannen und bearbeitete die geschwärzten Nickelborde hinter dem Herd mit Stahlwolle. Das waren damals die Dinge, die zählten, in den Häusern der Armen. Niemand dachte daran, das Vorhandene zu ersetzen, nur daran, alles sauber und in Ordnung zu halten, so lange wie möglich, und dann immer weiter. Solche Anstrengungen hielten eine Grenze aufrecht zwischen achtbarem Bemühen und zerlumpter Verkommenheit. Ich nahm das umso wichtiger, je näher meine eigene Desertion rückte.
    Berichte von der Haushaltsführung fanden den Weg in Briefe an Michael und ärgerten ihn. Während seines kurzen Besuchs bei uns zu Hause hatte er viel gesehen, das ihn unangenehm überrascht und in seinem Entschluss bestärkt hatte, mich zu retten. Und jetzt, zumal ich von nichts anderem schrieb und damit auch erklären wollte, warum meine Briefe kurz sein mussten, war er gezwungen nachzulesen, wie tief ich mich in diese Plackereien vergrub, in dieses Leben an genau dem Ort, dem ich eigentlich so schnell wie möglich den Rücken kehren müsste.
    Für seine Begriffe hätte ich mich danach sehnen müssen, den heimatlichen Staub von den Füßen zu schütteln. Um mich auf das Leben und das Zuhause zu konzentrieren, das wir zusammen anstrebten.
    Ich nahm mir zwar an einigen Nachmittagen ein paar Stunden frei, aber was ich dann tat, war kaum geeignet, hätte ich ihm davon geschrieben, ihn zufriedenzustellen. Ich deckte meine Mutter für ihr zweites Schläfchen am Tage zu, wischte in der Küche noch einmal die Arbeitsflächen ab und lief von unserem Haus ganz am Rande der Stadt zur Hauptstraße, wo ich ein paar Einkäufe machte und dann in die Stadtbücherei ging, um ein Buch zurückzugeben und ein anderes auszuleihen. Das Lesen hatte ich nicht aufgegeben, auch wenn die Bücher, die

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