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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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keine Qualifikationen mitbringt, nur das, was er sich im Dorfschulhaus von Ettrick angeeignet hat, und wahrscheinlich einen kräftigen rechten Arm.)
    Und William, der zweitjüngste, ein Junge noch unter zwanzig, der mein Ururgroßvater werden wird – auch er macht sich davon. Wie wir später erfahren, hat er sich in den Highlands niedergelassen, als Gutsverwalter auf einer der neuen Schaffarmen, entstanden durch die Verjagung der Kleinbauern von ihrem angestammten Pachtland. Und so viel Verachtung bringt er seinem Geburtsort entgegen, dass er – in einem Brief an das Mädchen, das er später heiratet – schreibt, es sei für ihn völlig undenkbar, je wieder im Ettrick Valley zu leben.
    Die Armut und die Unwissenheit haben es ihm offenbar verleidet. Die Armut, die er auf Starrsinn zurückführt, und die Unwissenheit, der er vorwirft, nicht einmal von sich zu wissen. Er ist ein moderner Mensch.

Die Aussicht vom Burgfelsen
    Als Andrew zum ersten Mal nach Edinburgh kam, war er zehn Jahre alt. Mit seinem Vater und noch einigen anderen Männern stieg er eine glitschige, dunkle Straße hoch. Es regnete, der Rauchgeruch der Stadt lag in der Luft, und es gab Türen, deren oberer Flügel offen stand, so dass er in die von Kaminfeuern erhellten Wirtshäuser hineinspähen konnte, in die sie hoffentlich bald einkehren würden, denn er war nass bis auf die Haut. Sie taten es nicht, sie hatten ein anderes Ziel. Außerdem waren sie schon am frühen Nachmittag in einer dieser Schankstuben gewesen, aber das war nicht mehr als eine Nische, ein Loch in der Wand, mit einem Brett, auf dem Flaschen und Gläser hingestellt und Münzen hingelegt wurden. Er war fortwährend aus diesem Verschlag hinausgedrängt worden, auf die Straße und in die Pfütze, in die sich das Wasser aus der Traufe am Vordach ergoss. Um sich wieder ins Trockene zu bringen, war er unten zwischen den langen Umhängen und Schaffellmänteln hineingekrochen und hatte sich zwischen die trinkenden Männer gezwängt, unter ihren Armen hindurch.
    Er war überrascht, wie viele Leute sein Vater in der Stadt Edinburgh zu kennen schien. Man sollte meinen, die Leute in der Schankstube seien ihm unbekannt, doch offenbar nicht. Inmitten der streitenden und fremd klingenden Stimmen war die Stimme seines Vaters die lauteste.
Amerika
, sagte er und schlug mit der Hand auf das Brett, damit ihm zugehört wurde, genau wie zu Hause. Andrew hatte dieses Wort von ihm in eben dieser Betonung gehört, lange bevor er wusste, dass damit ein Land jenseits des Ozeans gemeint war. Es wurde ausgesprochen wie eine Herausforderung und eine unwiderlegbare Wahrheit, manchmal allerdings, wenn sein Vater nicht da war, auch wie ein Schimpfwort oder ein Witz. So konnte es sein, dass seine älteren Brüder einander fragten: »Willst du nach Amerika?«, wenn einer von ihnen seinen Überwurf anlegte, um draußen die Schafe in den Pferch zu treiben. Oder: »Warum gehst du nicht nach Amerika?«, wenn sie in Streit geraten waren und der eine den anderen als Dummkopf hinstellen wollte.
    Die Töne in der Stimme seines Vaters, in der Rede, die diesem Wort folgte, waren so vertraut und Andrews Augen so trüb vom Rauch, dass er unversehens im Stehen eingeschlafen war. Er wurde wieder wach, als mehrere Männer, darunter auch sein Vater, aus der Stube hinausdrängten. Einer von ihnen fragte: »Ist das hier dein Junge, oder etwa ein Schlingel, der uns in die Taschen greifen will?«, und sein Vater lachte und nahm Andrew bei der Hand, und sie begannen ihren Aufstieg. Ein Mann geriet ins Stolpern, und ein anderer Mann stieß mit ihm zusammen und fluchte. Zwei Frauen schlugen voll Verachtung mit ihren Körben nach dem Trupp und sagten etwas in ihrer sonderbaren Redeweise, aus der Andrew nur die Wörter »ehrbare Leute« und »öffentliche Gehwege« heraushörte.
    Dann bog sein Vater mit den Freunden in eine wesentlich breitere Straße, die eigentlich ein Platz war, gepflastert mit großen Steinquadern. Der Vater wandte sich plötzlich um und sprach auf Andrew ein.
    »Weißt du, wo du bist, Junge? Du bist auf dem Burghof, und das ist die Burg von Edinburgh, die seit zehntausend Jahren steht und noch weitere zehntausend stehen wird. Grauenvolle Taten wurden hier begangen. Diese Steine triefen von Blut. Weißt du das?« Er hob den Kopf, damit alle ihm lauschten.
    »König Jamie nämlich, der hat die jungen Douglas-Brüder eingeladen, mit ihm zu Abend zu speisen, und sie haben kaum an der Tafel Platz genommen, da sagt

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