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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Landkarten vertraut war, um zu wissen, das, was er gesehen hatte, war die Grafschaft Fife.
    Trotzdem wusste er nicht, ob nun die Männer aus der Schankstube sich über seinen Vater lustig gemacht hatten, oder ob nicht vielmehr sein Vater ihnen einen seiner Streiche gespielt hatte.
     
    Der alte James, der Vater. Andrew, Walter. Ihre Schwester Mary. Andrews Frau Agnes und ihrer beider Sohn James, noch keine zwei Jahre alt.
    Im Hafen von Leith, am 4 . Juni 1818 , begeben sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben an Bord eines Schiffes.
    Der alte James bringt diese Tatsache einem Schiffsoffizier zur Kenntnis, der die Namensliste durchgeht.
    »Zum ersten Mal, mein Herr, in meinem ganzen langen Leben. Wir sind Männer von Ettrick. Das ist ein Teil der Welt, nur von Land umschlossen.«
    Der Offizier sagt ein Wort, das ihnen unverständlich ist, auch wenn sie die Bedeutung begreifen. Geht weiter. Er hat ihre Namen durchgestrichen. Sie gehen weiter oder werden weitergeschoben. Mit dem kleinen James auf Marys Hüfte.
    »Was ist das denn?«, sagt der alte James beim Anblick der vielen Leute an Deck. »Wo sollen wir schlafen? Wo kommt denn all dieser Pöbel her? Schaut euch doch bloß die Gesichter an, kommen die aus der Gosse?«
    »Eher aus dem Hochland«, sagt sein Sohn Walter. Ein Witz, halblaut, damit der Vater ihn nicht hören kann – denn die aus dem Hochland gehören zu denen, die der alte Mann verachtet.
    »Viel zu viele Menschen«, fährt sein Vater fort. »Das Schiff wird sinken.«
    »Nein«, sagt Walter jetzt laut. »Schiffe sinken nicht oft wegen zu vieler Menschen. Deshalb stand der Bursche da, um die Menschen zu zählen.«
    Kaum an Bord eines großen Schiffes, und dieser siebzehn Jahre junge Spund spielt sich als Klugschnack auf, gibt seinem Vater Widerworte. Erschöpfung, Verwunderung und das Gewicht des Mantels, den er trägt, halten den alten James davon ab, ihm eins hinter die Löffel zu geben.
    Alle Umstände des Lebens an Bord sind der Familie bereits erklärt worden. Und zwar von dem alten Mann selbst. Er wusste nämlich genau Bescheid über die Verpflegung, die Unterkunft und die Sorte Menschen, die sie auf dem Schiff vorfinden würden. Alles Schotten und alles anständige Leute. Keine Hochländer, keine Iren.
    Doch jetzt ruft er aus, das sei ja wie der Bienenschwarm im Kadaver des Löwen.
    »Ein übles Pack, ein übles Pack. O, dass wir je unser Vaterland verlassen haben!«
    »Wir haben’s noch nicht verlassen«, sagt Andrew. »Wir blicken immer noch auf Leith. Wir täten gut daran, unter Deck zu gehen und uns einen Platz zu suchen.«
    Weiteres Lamento. Die Kojen sind schmal, kahle Bretter mit harten Rosshaarsäcken, die pieken.
    »Besser als nichts«, sagt Andrew.
    »O, dass mir je in den Kopf kam, uns hierher zu bringen, auf diesen schwimmenden Katafalk.«
    Will ihm denn keiner das Maul stopfen?, denkt Agnes. Denn so wird er immer weiter salbadern, wie ein Prediger oder ein Tollhäusler, wenn es ihn überkommen hat. Sie vermag das nicht zu ertragen. Sie leidet schlimmere Qualen, als er je kennen wird.
    »Lassen wir uns nun hier nieder oder nicht?«, fragt sie.
    Einige haben ihre Überwürfe oder Schultertücher aufgehängt, um einen halbwegs abgetrennten Raum für ihre Familie zu schaffen. Sie macht sich daran, ihre Übergewänder abzulegen, um es ihnen gleichzutun.
    Das Kind in ihrem Leib schlägt Purzelbäume. Ihr Gesicht glüht wie eine Kohle, ihre Beine pochen, und das geschwollene Fleisch dazwischen – der Mund, den das Kind bald öffnen muss, um hinauszugelangen – brennt wie Feuer und schmerzt wie Messerstiche. Ihre Mutter hätte Abhilfe gewusst, sie hätte gewusst, welche Kräuter für einen lindernden Umschlag zerdrückt werden müssen.
    Beim Gedanken an ihre Mutter überkommt sie solche Wehmut, dass sie mit dem Fuß nach jemandem treten möchte.
    Andrew faltet seinen Überwurf zusammen, damit sein Vater weich sitzen kann. Der alte Mann lässt sich stöhnend darauf nieder und schlägt die Hände vors Gesicht, so dass seine Rufe hohl klingen.
    »Ich will nichts mehr sehen. Ich will nichts mehr hören aus ihren geifernden Mäulern mit den teuflischen Zungen. Ich will nichts mehr schlucken, keinen Bissen Fleisch oder Mehl, bis ich das Gestade von Amerika sehe.«
    Umso mehr bleibt für uns übrig, möchte Agnes am liebsten einwerfen.
    Warum sagt Andrew seinem Vater nicht die Wahrheit ins Gesicht und erinnert ihn daran, wessen Idee das alles war, wer überall die großen Reden schwang und sich

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