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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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kann.
    »Und er heiratete eine Frau namens Bessie Scott, und einer seiner Söhne erhielt den Namen Robert, und eben dieser Robert war mein Vater. Mein Vater. Und nun stehe ich hier vor Euch.«
    »Mit nur einem Satz konnte Will über den Fluss Ettrick springen, und die Stelle ist nach ihm benannt.«
     
    Die ersten zwei oder drei Tage lang hat der kleine James sich geweigert, Marys Hüfte zu verlassen. Er hat durchaus Wagemut gezeigt, aber nur von diesem Platz aus. Nachts hat er in ihrem Umhang geschlafen, neben ihr zusammengerollt, und sie ist von den Schmerzen auf ihrer linken Seite aufgewacht, weil sie die ganze Nacht lang stillgelegen hat, um ihn nicht zu stören. Dann, plötzlich eines Morgens, ist er heruntergekrabbelt und rennt umher und tritt nach ihr, wenn sie versucht, ihn hochzuheben.
    Alles auf dem Schiff erregt seine Aufmerksamkeit. Sogar nachts versucht er, über sie hinwegzuklettern und ins Dunkel davonzulaufen. Also ist sie zerschlagen, wenn sie morgens aufsteht, nicht nur von der steifen Lage, sondern auch von Schlafmangel. Eines Nachts nickt sie ein, und das Kind macht sich los, stolpert aber bei seinem Fluchtversuch zum Glück gegen den Körper seines Vaters. Von da an besteht Andrew darauf, dass er jeden Abend festgebunden wird. Er heult natürlich, und Andrew schüttelt ihn und gibt ihm einen Klaps, und dann schluchzt er sich in den Schlaf. Mary liegt neben ihm und erklärt ihm leise die Notwendigkeit, damit er nicht vom Schiff in den Ozean fällt, aber er betrachtet sie in diesen Augenblicken als seine Feindin, und wenn sie die Hand ausstreckt, um sein Gesicht zu streicheln, dann versucht er, sie mit seinen Zähnchen zu beißen. Jeden Abend schläft er voller Wut ein, aber morgens, wenn sie ihn losbindet und er noch im Halbschlaf ist, mit all der Niedlichkeit des Kleinkindes, dann hält er sich schläfrig an ihr fest, und Liebe durchströmt sie.
    In Wahrheit liebt sie sogar sein Geschrei und seine Wutanfälle und seine Fußtritte und seine Bisse. Sie liebt seine schmutzigen und angetrockneten Gerüche ebenso wie seine frischen. Während die Schläfrigkeit ihn verlässt, sieht er sie an, und seine klaren blauen Augen füllen sich mit wundersamer Intelligenz und gebieterischem Willen, die ihr beide geradewegs vom Himmel zu kommen scheinen. (Obwohl ihr Glaube sie immer gelehrt hat, dass Eigenwille aus der entgegengesetzten Richtung kommt.) Sie liebte auch ihre Brüder, als sie niedlich und wild waren und davor bewahrt werden mussten, in den Bach zu fallen, aber gewiss nicht so leidenschaftlich, wie sie James liebt.
    Dann eines Tages ist er fort. Sie steht in der Schlange für das Waschwasser, und sie dreht sich um, und er ist nicht mehr neben ihr. Sie hat gerade ein paar Worte mit der Frau vor ihr gewechselt und eine Frage nach Agnes und dem Neugeborenen beantwortet, sie hat gerade dessen Namen genannt – Isabel, und in diesem Augenblick hat er sich davongemacht. Als sie den Namen aussprach, Isabel, spürte sie eine überraschende Sehnsucht, dieses neue, zarte Bündel zu halten, und als sie ihren Platz in der Schlange verlässt und auf der Suche nach James umherjagt, kommt ihr der Gedanke, dass er ihre Treulosigkeit gespürt haben muss und verschwunden ist, um sie zu bestrafen.
    Innerhalb eines Augenblicks stürzt alles um. Das Wesen der Welt hat sich verändert. Sie rennt hin und her, ruft James’ Namen. Sie läuft auf Fremde zu, auf Matrosen, die sie auslachen, als sie sie anfleht: »Habt ihr einen kleinen Jungen gesehen, einen kleinen Jungen, so groß, mit blauen Augen?«
    »Ich habe in den letzten fünf Minuten fünfzig oder sechzig von der Sorte gesehen«, sagt ein Mann zu ihr. Eine Frau will freundlich sein und sagt, dass er schon auftauchen wird. Mary soll sich keine Sorgen machen, er wird mit anderen Kindern spielen. Einige Frauen schauen sich sogar um, als wollten sie ihr bei der Suche helfen, aber das können sie natürlich nicht, sie haben ihre eigenen Verpflichtungen.
    Was Mary in diesen Augenblicken panischer Angst deutlich sieht, ist, dass die Welt, die sich für sie in einen Albtraum verwandelt hat, für alle anderen hier immer noch dieselbe normale Welt ist und sogar bleiben wird, wenn James tatsächlich verschwunden ist, sogar, wenn er durch die Reling gekrabbelt ist – ihr sind überall Stellen aufgefallen, wo das möglich ist – und vom Ozean verschluckt wird.
    Das für sie grausamste und undenkbarste aller Ereignisse kommt den meisten anderen nur so vor wie ein trauriges,

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