Wozu wollen Sie das wissen?
Klein-Mary, doch so verhält es sich nicht. Agnes ist eine große, wohlgestaltete junge Frau mit dichten, dunklen Haaren und dunklen Augen. Die rote Stelle auf einer ihrer Wangen geht in einen hellbraunen Fleck über, so groß wie ein Handabdruck. Es ist ein Muttermal, was ein Jammer ist, sagen die Leute, denn ohne es wäre sie hübsch. Walter kann kaum ertragen, es anzusehen, aber nicht, weil es hässlich ist. Sondern weil er sich danach sehnt, es zu berühren, es mit den Fingerspitzen zu streicheln. Es sieht nicht wie gewöhnliche Haut aus, sondern wie der Bast an einem Hirschgeweih. Seine Gefühle für sie sind so quälend, dass er nur unfreundlich zu ihr sprechen kann, wenn überhaupt. Und sie zahlt es ihm mit einer guten Prise Verachtung zurück.
Agnes meint, im Wasser zu sein, und die Wellen wuchten sie hoch und schleudern sie hinunter. Jedes Mal, wenn die Wellen sie niederstrecken, ist es schlimmer als zuvor, sie sinkt immer tiefer, und der Augenblick der Erleichterung vergeht, bevor sie ihn ergreifen kann, denn die Welle sammelt schon ihre Kraft, um wieder auf sie einzustürzen.
Dann wieder weiß sie, dass sie in einem Bett liegt, in einem fremden Bett, daunenweich, aber das ist nur umso schlimmer, denn wenn sie in die Tiefe sinkt, ist kein Widerstand da, keine harte Stelle, wo die Schmerzen aufhören müssen. Und hier oder auf dem Wasser hasten vor ihr ständig Leute hin und her. Alle sind nur von der Seite zu sehen und sind durchsichtig, alle reden sehr schnell, so dass sie kein Wort mitbekommt, und schenken ihr aus purer Bosheit keinerlei Beachtung. Sie sieht Andrew inmitten von ihnen und zwei oder drei seiner Brüder. Einige der Mädchen, die sie kennt, sind auch da – die Freundinnen, mit denen sie in Hawick herumgealbert hat. Und jetzt haben sie keinen Blick für ihre Not, scheren sich keinen Pfifferling darum.
Sie schreit sie an, sie sollen verschwinden, doch das kümmert keine Einzige, und noch mehr von ihnen kommen einfach durch die Wand herein. Sie wusste gar nicht, dass sie so viele Feindinnen hat. Jetzt zermahlen sie sie und geben vor, es nicht einmal zu merken. Ihre Regsamkeit zermahlt sie zu Tode.
Ihre Mutter beugt sich über sie und sagt mit schleppender, kalter, gelangweilter Stimme: »Du gibst dir keine Mühe, Kind. Du musst dich stärker anstrengen.« Ihre Mutter ist fein angezogen und redet vornehm, wie eine Dame aus Edinburgh.
Ekles Zeug wird ihr in den Mund geschüttet. Sie versucht es auszuspucken, denn sie weiß, das ist Gift.
Ich werde einfach aufstehen und hinausgehen, denkt sie. Sie versucht, sich von ihrem Körper loszureißen, als sei er ein Haufen lichterloh brennender Lumpen.
Eine Männerstimme ist zu hören, sie erteilt einen Befehl.
»Haltet sie«, sagt er, und sie wird zerspalten und weit aufgerissen für die Welt und das Feuer.
»Äh – äh – ääh«, sagt die Stimme des Mannes, keuchend, als sei er um die Wette gelaufen.
Eine Kuh, furchtbar schwer, brüllend schwer von Milch, bäumt sich auf und hockt sich auf den Bauch von Agnes.
»Komm. Komm«, sagt die Stimme des Mannes, er stöhnt auf, ist am Ende seiner Kräfte, als er versucht, sie wegzuzerren.
Diese Dummköpfe. Diese Dummköpfe, sie je hereingelassen zu haben.
Es stand schlimm um sie bis zum 18 ., als sie von einer Tochter entbunden wurde. Da wir einen Wundarzt an Bord hatten, ging es gut. Nichts geschah bis zum 22 ., dem rauhesten Tag, den wir bis dahin erlebt hatten. Der Klüverbaum brach zum zweiten Mal. Nichts Erwähnenswertes geschah, Agnes erholte sich wie üblich, bis wir am 29 . einen großen Schwarm von Delfinen sichteten und am 30 . (dem gestrigen Tag) sehr rauher See begegneten mit Wind aus West, der uns eher zurückwarf als uns voranbrachte …
»In Ettrick, da steht, was sie das höchste Haus in Schottland nennen«, sagt James, »und das Haus, in dem mein Großvater lebte, das war noch höher gelegen. Der Hof heißt Phauhope, alle sagen Phaup dazu, und mein Großvater war Will O’Phaup, vor fünfzig Jahren hättet ihr von ihm gehört, wenn ihr von irgendwo südlich des Forth und nördlich der Umstrittenen Ländereien kämt.«
Man muss sich schon die Ohren zuhalten, was bleibt einem sonst übrig als zuzuhören?, denkt Walter. Es gibt welche, die fluchen, wenn sie den alten Mann kommen sehen, es scheint aber auch andere zu geben, die für jede Ablenkung dankbar sind.
Er erzählt von Will und seinen Rennen und den Wetten auf ihn und von mehr Narreteien, als Walter ertragen
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