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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Teile, zu denen die Gedanken eines Mannes vom Anblick der Brüste hingelenkt werden. All dies in einem Buch mit Geschichten und Kupferstichen, das er sich aus der Leihbücherei in Peebles geholt hat.
    Diese Gedanken betrüben ihn nicht. Er macht es sich stets zur Aufgabe, klar zu denken und sich womöglich auch die widerwärtigsten oder furchteinflößendsten Dinge genau auszumalen, damit sie ihre Macht über ihn einbüßen. So, wie er sich jetzt ausmalt, wie das Kind gefressen wird. Nicht als Ganzes verschlungen wie im Falle von Jonas, sondern Bissen um Bissen, wie er selbst ein schmackhaftes Stück von einem gekochten Schaf aufessen würde. Bleibt noch die Seele. Die Seele verlässt den Körper im Augenblick des Todes. Aber aus welchem Teil des Körpers tritt sie aus, wo genau war sie untergebracht? Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass sie mit dem letzten Atemzug entweicht und irgendwo in der Brust unweit von Herz und Lunge verborgen war. Obwohl Walter einen Witz gehört hat, den man sich über einen alten Zausel in Ettrick erzählte, ein Kerl, so schmutzig, dass bei seinem Tod die Seele zu seinem Arschloch hinausfuhr, und das hörbar, mit mächtigem Knall.
    Solcherlei Auskünfte erhofft man sich von den Predigern – ohne natürlich, dass gleich von so etwas wie dem Arschloch die Rede ist, aber doch vom wahren Sitz der Seele und dem Ausgang, den sie nimmt. Aber vor Erklärungen dieser Art schrecken sie zurück. Auch können sie nicht erklären – jedenfalls keiner, den er gehört hat, wie die Seelen sich außerhalb des Körpers bis zum Tag des Jüngsten Gerichts erhalten und wie eine jede von ihnen an diesem Tag ihren Körper wiederfindet und als den eigenen erkennt und sich damit vereinigt, obwohl er zu der Zeit nicht mal mehr ein Gerippe sein kann.
Zu Staub zerfallen
. Es muss welche geben, die genug studiert haben, um zu wissen, wie all das vollbracht wird. Es gibt aber auch welche – das hat er vor kurzem erfahren, die haben studiert und gelesen und nachgedacht, bis sie zu dem Schluss gelangt sind, dass es überhaupt keine Seelen gibt. Niemand spricht gerne von diesen Menschen, und in der Tat ist der Gedanke an sie schrecklich. Wie können sie mit der Furcht – sogar der Gewissheit – leben, dass ihnen die Hölle bevorsteht?
    Es gab einmal einen solchen Mann, der kam aus der Gegend von Berwick und wurde der dicke Davey genannt, denn er war so dick, dass der Tisch eingesägt werden musste, damit er sich zum Essen daran niedersetzen konnte. Und als er in Edinburgh, wo er seine Studien betrieben hatte, starb, versammelten sich die Leute auf der Straße vor seinem Haus, um zu sehen, ob der Teufel ihn holen kommen würde. In Ettrick ist darüber eine Predigt gehalten worden, und soweit Walter verstanden hat, hieß es da, dass der Teufel solche öffentlichen Auftritte nicht mag und nur abergläubische und gemeine und papistische Leute derlei von ihm erwarten, dass aber seine Umarmung weitaus schrecklicher ist und die Qualen, die sie begleiten, weitaus tückischer, als solche Gemüter sich vorstellen können.
     
    Am dritten Tag an Bord des Schiffes stand der alte James auf und begann umherzugehen. Inzwischen ist er ständig unterwegs. Er bleibt stehen und spricht jeden an, der willens scheint, ihm zuzuhören. Er nennt seinen Namen und sagt, dass er aus Ettrick kommt, aus dem Tal und dem Wald von Ettrick, wo früher die alten Könige von Schottland jagten.
    »Und auf dem Feld von Flodden«, sagt er, »nach der Schlacht von Flodden hieß es, man konnte zwischen den Leichen hin und her gehen und die Männer von Ettrick erkennen, denn sie waren die größten und stärksten und schönsten Männer am Boden. Ich habe fünf Söhne, und es sind alles gute, starke Jungen, doch nur zwei von ihnen sind bei mir. Einer meiner Söhne ist in Nova Scotia, er trägt meinen eigenen Namen, und als ich die letzte Nachricht von ihm erhielt, da war er in einem Ort namens Economy, aber seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört, und ich weiß nicht, ob er noch lebt oder tot ist. Mein ältester Sohn ist weggegangen, um in den Highlands zu arbeiten, und mein Zweitjüngster setzte es sich in den Kopf, auch dorthin zu gehen, und ich werde beide nie wiedersehen. Fünf Söhne, und durch Gottes Gnade sind alle zu Männern herangewachsen, aber es war nicht der Wille des Herrn, dass ich sie bei mir behalte. Ihre Mutter starb, nachdem der Letzte von ihnen geboren wurde. Sie holte sich ein Fieber und stand nicht mehr vom Bett auf, nachdem

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