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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Familie verantwortlich. Für seine oft schlecht gelaunte junge Frau, die er wieder in Lebensgefahr gebracht hat, für die Brüder, die weit fort sind, und für den Bruder an seiner Seite, für seine bedauernswerte Schwester und für sein unvorsichtiges Kind. Dies ist seine Bürde – ihm kommt nie in den Sinn, sie Liebe zu nennen.
     
    Agnes verlangt ein ums andre Mal nach Salz, bis die Damen befürchten, sie wird sich in ein Fieber hineinsteigern. Die beiden Frauen, die sie pflegen, sind Kajütenpassagiere, Damen aus Edinburgh, die sich ihrer aus Barmherzigkeit annehmen.
    »Sei still jetzt«, gebieten sie ihr. »Du hast keine Ahnung, welch glückliches Mädel du bist, dass wir Mr Suter an Bord hatten.«
    Sie erzählen ihr, dass das Kind in ihr falsch herum lag und sie alle Angst hatten, Mr Suter werde sie aufschneiden müssen, was vielleicht ihr Ende gewesen wäre. Aber es gelang ihm, es umzudrehen, so dass er es mühsam herausziehen konnte.
    »Ich brauche Salz für meine Milch«, sagt Agnes, die gar nicht daran denkt, sich von ihren Ermahnungen und Edinburgher Reden einschüchtern zu lassen. Das sind sowieso dumme Gänse.
Sie
muss ihnen sagen, dass ein bisschen Salz in die erste Milch des Neugeborenen gehört, tu ein paar Körnchen auf den Finger, drücke ein oder zwei Tropfen Milch darauf und gib das dem Kind zu schlucken, bevor du es an die Brust legst. Ohne diese Vorsichtsmaßnahme ist gut möglich, dass es schwachsinnig wird.
    »Ist sie überhaupt eine Christin?«, fragt die eine die andere.
    »Geradeso wie Ihr«, sagt Agnes. Aber zu ihrer eigenen Überraschung und Scham fängt sie laut an zu weinen, und der Säugling stimmt mit ein, aus Mitgefühl oder vor Hunger. Und immer noch verweigert sie ihm die Brust.
    Mr Suter kommt nach ihr schauen. Er fragt nach dem Grund des Jammergeschreis, und sie klären ihn auf.
    »Ein Neugeborenes soll Salz in den Magen bekommen – wo hat sie das denn her?«
    Er sagt: »Gebt ihr das Salz.« Und er bleibt da, um zuzuschauen, wie sie die Milch auf den salzigen Finger drückt, ihn an die Lippen des Kindes führt und ihm die Brust folgen lässt.
    Er fragt sie, warum sie das tut, und sie sagt es ihm.
    »Und wirkt es jedes Mal?«
    Sie antwortet ihm – ein wenig überrascht, dass er ebenso dumm ist wie die beiden, wenn auch freundlicher, dass es unfehlbar wirkt.
    »Da, wo Ihr herkommt, haben also alle ihre fünf Sinne beisammen? Und sind alle Mädchen so kräftig und stattlich wie Ihr?«
    Sie sagt, davon wisse sie nichts.
    Manchmal scharwenzelten junge Männer, die zu Besuch waren, gebildet und aus der Stadt, um sie und ihre Freundinnen herum, machten Komplimente und versuchten, ein Gespräch anzuknüpfen, und sie dachte immer, jedes Mädchen, das so etwas zulässt, ist eine Närrin, selbst wenn der Mann ansehnlich ist. Und Mr Suter ist alles andere als ansehnlich – er ist zu schmächtig, und sein Gesicht ist übersät mit Pockennarben, so dass sie ihn anfangs für einen alten Mann hielt. Aber er hat eine freundliche Stimme, und wenn er sie ein wenig neckt, kann nichts dabei sein. Kein Mann hätte noch Verlangen nach einer Frau, die er weit gespreizt gesehen hat, das zerrissene Geschlecht offen zu Tage liegend.
    »Seid Ihr wund?«, fragt er, und sie meint, einen Schatten auf seinen entstellten Wangen zu sehen, einen Anflug von Röte. Sie sagt, es gehe ihr nicht schlechter, als es ihr gehen müsse, und er nickt, ergreift ihr Handgelenk, beugt sich darüber und drückt fest ihren Puls.
    »Munter wie ein Rennpferd«, sagt er, die Hände immer noch über ihr, als wisse er nicht, auf welche Stelle er sie legen soll. Dann entscheidet er sich, ihr die Haare zurückzustreichen und seine Finger an ihre Schläfen und auch hinter die Ohren zu pressen.
    Sie wird sich diese Berührung, diesen komischen, sanften, kribbelnden Druck, noch viele Jahr lang ins Gedächtnis rufen, mit einer konfusen Mischung aus Verachtung und Sehnsucht.
    »Gut«, sagt er. »Keine Spur von Fieber.«
    Er schaut für einen Augenblick zu, wie das Kind trinkt.
    »Jetzt ist alles gut«, sagt er mit einem Seufzer. »Ihr habt eine gesunde Tochter, und sie kann ihr ganzes Leben lang sagen, sie wurde auf hoher See geboren.«
     
    Später kommt Andrew herein und steht am Fuß des Bettes. Er hat sie noch nie in einem Bett wie diesem gesehen (einem richtigen Bett, auch wenn es an der Wand festgeschraubt ist). Er wird schamrot angesichts der Damen, die gerade die Schüssel hereingebracht haben, um sie zu waschen.
    »Das ist

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