Wozu wollen Sie das wissen?
aber nicht außergewöhnliches Missgeschick. Für all jene wäre es nicht undenkbar.
Oder auch für Gott. Denn wenn Gott ein seltenes und auffallend schönes Menschenkind erschafft, ist er dann nicht besonders versucht, sein Geschöpf zurückzunehmen, gleichsam, als verdiente die Welt es nicht?
Doch sie betet zu ihm, die ganze Zeit über. Anfangs ruft sie nur seinen Namen an. Aber als ihre Suche genauer und in mancher Hinsicht bizarrer wird – sie schlüpft unter Wäscheleinen hindurch, die andere für ein bisschen Zurückgezogenheit aufgehängt haben, es macht ihr gar nichts aus, die Leute bei allen möglichen Verrichtungen zu unterbrechen, sie reißt die Deckel von ihren Kisten hoch und wühlt in ihrem Bettzeug, ohne auch nur zu hören, wenn sie beschimpft wird, werden auch ihre Gebete ausführlicher und kühner. Sie überlegt, was sie anbieten kann, was der Preis dafür sein kann, dass James ihr zurückgegeben wird. Aber was hat sie schon? Nichts Eigenes – weder Gesundheit, noch Erwartungen, noch irgendjemandes Wertschätzung. Sie hat keine Aussicht auf etwas oder auch nur eine Hoffnung, die sie aufgeben kann. Sie hat nur James.
Aber wie kann sie James für James opfern?
Das geht ihr im Kopf herum.
Doch was ist mit ihrer Liebe zu James? Ihrer übergroßen und vielleicht sogar abgöttischen oder gar sündigen Liebe zu einem anderen Geschöpf? Die wird sie aufgeben, die wird sie opfern, wenn er nur nicht fort ist, wenn er nur gefunden wird. Wenn er nur nicht tot ist.
Sie erinnert sich daran, ein oder zwei Stunden, nachdem jemand den Jungen unter einem leeren Eimer entdeckt hat, als er hervorlugte und dem Tumult lauschte. Und sie ihr Gelübde sofort zurücknahm. Sie schloss ihn in die Arme und drückte ihn fest an sich und holte stöhnend Luft, während er sich wand, um loszukommen.
Ihr Verhältnis zu Gott ist oberflächlich und schwankend, und außer in einer Zeit entsetzlicher Angst, wie sie sie gerade durchgemacht hat, gibt sie in Wahrheit nicht viel auf ihn. Sie hat immer empfunden, dass Gott oder auch nur die Vorstellung von einem Gott ihr stets ferner lag als allen anderen um sie herum. Auch fürchtet sie seine Strafen nach dem Tode nicht so, wie sie es sollte, und sie weiß nicht einmal, warum nicht. Sie trägt eine störrische Gleichgültigkeit in sich, von der niemand etwas weiß. Es mögen zwar alle denken, dass sie insgeheim im Glauben Zuflucht sucht, weil ihr kaum etwas sonst bleibt, doch das ist falsch. Denn jetzt, wo sie James wiederhat, empfindet sie keine Dankbarkeit, sondern denkt nur, was für eine Närrin sie war, denn sie kann ihre Liebe zu ihm ebenso wenig aufgeben, wie sie ihrem Herz verbieten kann, zu schlagen.
Danach besteht Andrew darauf, dass James nicht nur nachts, sondern auch tagsüber festgebunden wird, am Pfosten der Schlafkoje oder an der eigenen Wäscheleine auf dem Deck. Mary wäre es am liebsten, wenn er an ihr selbst festgemacht würde, aber Andrew sagt, ein Junge wie der würde sie in Stücke treten. Andrew hat ihm für seinen Streich eine Tracht Prügel verabreicht, aber der Ausdruck in James’ Augen besagt, dass er mit seinen Streichen noch nicht am Ende ist.
Jener Aufstieg in Edinburgh, jener Blick über das Wasser war etwas, worüber Andrew nicht einmal mit seinen Brüdern sprach – Amerika war ohnehin ein heikles Thema. Der älteste Bruder, Robert, brach in die Highlands auf, sobald er herangewachsen war, ging ohne ein Wort des Abschieds eines Abends von zu Hause fort, als sein Vater bei Tibbie Shiel hockte. Er gab deutlich zu verstehen, dass er das tat, um nicht an irgendeiner Expedition teilnehmen zu müssen, die sein Vater im Sinn haben mochte. Dann machte sich Bruder James trotzig ganz allein auf den Weg nach Amerika, mit den Worten, wenn er das tat, ersparte er sich zumindest, weiterhin davon hören zu müssen. Und schließlich war auch Will, jünger als Andrew, aber immer am widerspenstigsten und am erbittertsten gegen den Vater aufgebracht, auf und davon gegangen, um sich Robert anzuschließen. So blieb nur Walt übrig, der noch kindlich genug war, um an Abenteuer zu denken – als Junge hatte er damit geprahlt, wie er gegen die Franzosen kämpfen werde, vielleicht dachte er also jetzt, er werde gegen die Indianer kämpfen.
Und dann war da noch Andrew selbst, der seit jenem Tag auf dem Felsen für seinen Vater ein tiefes, konfuses Verantwortungsgefühl empfindet, fast wie Trauer.
Aber schließlich fühlt sich Andrew für jeden in seiner
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