Wünsche (German Edition)
Anwesenheit freute. Ich hasste geheuchelte Höflichkeit.
»Freut mich«, sagte ich und schüttelte seine Hand.
Mir wurde sofort klar, dass meine Höflichkeit nicht weniger geheuchelt war. Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen.
Er zeigte mir den Weg und wir gingen zu seinem Büro.
Kapitel 2
Ich sah ihn neugierig an, als er hinter seinem Schreibtisch Platz nahm.
»Ich freue mich, dass Sie kommen konnten«, sagte er noch einmal. Es klang nicht aufrichtiger als vorher.
»Schauen Sie, Dr. Hartmann. Wie Sie sich sicherlich vorstellen können, bin ich ein viel beschäftigter Mann. Ich kümmere mich normalerweise nicht um das Tagesgeschäft des Vereins. Genau genommen habe ich das noch nie gemacht.«
»Das verstehe ich«, antwortete er. Auch bei diesen Worten zweifelte ich an seiner Ehrlichkeit. Ich mochte diesen Mann nicht. »Aber ich habe einen Patienten, der ‒«
»Hören Sie«, unterbrach ich ihn. »Setzen Sie sich doch mit den Mitarbeitern des Vereins in Verbindung. Ich bin mir sicher, dass sie ihm jeden Wunsch erfüllen können, den er hat.«
»Nun«, begann er und ich bildete mir ein, dass ein Lächeln seine Lippen umspielte. »Sein Wunsch ist es, Sie kennen zu lernen.« Er machte eine kurze Pause und sah mich an. »Warum auch immer.«
Der letzte Satz war mehr gemurmelt und es war nicht leicht, ihn zu verstehen. Ich beschloss, ihn einfach zu ignorieren und nicht darauf einzugehen.
»Wie lange ist er schon im Krankenhaus?«
Meine Neugier war geweckt. Warum wollte dieser Junge ausgerechnet mich kennenlernen?
»Seit einer Woche. Vor zehn Tagen wurde ein Hirntumor diagnostiziert. Bedauerlicherweise befindet sich die Krankheit bereits im Endstadium. Wir können nichts mehr für ihn tun, außer ihm Schmerzmittel zu geben. Kurz nachdem er hierher überwiesen wurde, haben wir ihm von Ihrem Verein erzählt. Gestern haben wir versucht, Sie darüber zu kontaktieren, aber wir haben nur die Nummer von Ihrer Sekretärin bekommen.«
Er klang sehr geschäftsmäßig und eher unbeteiligt, was das Schicksal seines Patienten anging. Ich rutschte einen Moment lang auf meinem Stuhl hin und her. Ich überlegte, ob ich darauf eingehen sollte.
»Warum möchte er ausgerechnet mich treffen?«, entschied ich mich dagegen. »Warum wollte er nicht einen Sportler oder einen Schauspieler kennenlernen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie viel Zeit bleibt ihm noch?«
»Tage. Vielleicht ein paar Wochen.«
Wieder dieser Ton.
»Sie klingen irgendwie unbeteiligt«, sagte ich schließlich.
»Lassen wir den Blödsinn, okay?«, antwortete er. »Ich kenne Ihren Ruf, Herr Engel. Und ich weiß, dass er Ihrem Namen nicht besonders viel Ehre macht. Ich bin mit Sicherheit mehr an meinen Patienten interessiert, als Sie an der Arbeit Ihres Vereins.«
Ich ignorierte seinen Angriff.
»Sagen Sie mir wenigstens seinen Namen?«
Sein Gesicht nahm einen verwunderten Ausdruck an.
»Habe ich Ihrer Sekretärin nicht seinen Namen genannt?«
»Das mag sein, aber sie hat ihn mir nicht gesagt.«
»Sein Name ist Julian Kästner und er ist elf Jahre alt.«
»Also, Dr. Hartmann«, sagte ich und räusperte mich. »Ich bin sehr wohl an der Arbeit meines Vereins interessiert. Und wenn Sie meinen Ruf kennen, dann wissen Sie auch, dass ich dafür sorgen könnte, dass Sie Ihren Job verlieren. Selbst wenn Sie mich nicht mögen, bin ich auf Wunsch Ihres Patienten hier. Das wissen Sie selbst. Ich schlage vor, Sie behandeln mich auch so und erzählen mir ein bisschen mehr über Julian.« Ich sah ihn einen Moment an. »Und sagen Sie mir das, was Sie jemandem erzählen würden, den Sie mögen.«
Dr. Hartmann starrte mich an. Anscheinend überlegte er gerade, ob er mich hinauswerfen lassen oder ob er nachgeben sollte. Er entschied sich für die zweite Möglichkeit.
»Julian ist sowohl ein Opfer des Systems als auch des Krebses.«
»Warum das?«
»Sie haben nicht nach seinen Eltern gefragt.«
»Was ist mit ihnen? Sind sie hier? Ich würde sie gerne kennenlernen.«
»Seine Mutter ist bei seiner Geburt gestorben. Sie wusste nicht, wer sein Vater war und die einzige Verwandte, die sich um ihn kümmern konnte, war seine Großmutter. Sie starb, als er sechs Jahre alt war. Seitdem hat er bei verschiedenen Pflegeeltern und in Heimen gelebt.«
»Warum ist er nicht adoptiert worden?«
»Niemand adoptiert Sechsjährige. Alle Paare wollen Babys.«
»Ich verstehe«, sagte ich und seufzte. »Es gibt wirklich nichts, was Sie für ihn tun können? Also wegen dem
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