Wünsche (German Edition)
Krebs?«
»Der Tumor ist inoperabel«, sagte Dr. Hartmann und schüttelte den Kopf.
Ich stand von meinem Stuhl auf, ging zum Fenster hinüber und starrte einen Moment auf den Parkplatz hinunter.
»Irgendetwas verschweigen Sie mir«, stellte ich fest. »Warum ‒«, begann ich, wurde aber von Dr. Hartmann unterbrochen.
»Ich weiß, was Sie sagen wollen. Er hat den Tumor vermutlich schon seit einem Jahr, wenn nicht sogar länger. Wenn er rechtzeitig entdeckt worden wäre, hätte man ihm vermutlich helfen können. Julian trägt seit seinem siebten Lebensjahr eine Brille. Vor etwa einem halben Jahr wurde seine Sehkraft plötzlich schlechter. Das ist normalerweise ein Zeichen dafür, dass etwas ziemlich schief läuft. Aber die Ärzte haben es vermasselt und ihn nicht gründlich untersucht. Sie haben ihm nur immer stärkere Brillen verschrieben. Vor einem Monat bekam er dann Kopfschmerzen, die nicht mehr weg gingen und immer schlimmer wurden. Nun ist es zu spät. Julian wird sterben, und zwar sehr bald.«
»Weiß er es?«, fragte ich den Arzt.
»Ja. Wir erwähnen Ihren Verein in der Regel erst, nachdem wir den Patienten, beziehungsweise die Eltern informiert haben. Julian wusste es schon, bevor er hier stationär aufgenommen wurde. Er hat sich für seinen Wunsch ein paar Tage Zeit gelassen.«
»Verdammt«, murmelte ich und ging zu meinem Platz zurück. Ich rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her. Dr. Hartmann beobachtete mich aufmerksam.
Eine ganze Zeit lang sagte keiner ein Wort. Was sollte ich auch sagen? Ich betrachtete meine Hände, die ich in meinem Schoß gefaltet hatte und hoffte, dass Dr. Hartmann das Schweigen brechen würde.
»Vielleicht habe ich Sie doch falsch eingeschätzt, Herr Engel«, sagte er schließlich, mehr zu sich selbst als zu mir.
Ich schaute ihn an.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte ich neugierig.
»Um Ihre Bemerkung von vorhin einmal umzudrehen: Sie wirken nicht mehr so gleichgültig wie noch vor ein paar Minuten.«
»Ja, dieses reiche, arrogante Arschloch hat auch ein Herz«, sagte ich mit einem sarkastischen Unterton.
Ich bildete mir ein, für den Bruchteil einer Sekunde ein Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen. Er sagte aber nichts.
»Wollen wir zu Julian gehen?«, fragte ich schließlich.
»Ich möchte Sie noch warnen, Herr Engel. Julian kann zwar noch hell und dunkel unterscheiden und Schatten erkennen, aber darüber hinaus ist er sozusagen blind. Zudem ist er durch den Tumor und die verabreichten Schmerzmittel ziemlich schwach. Er wird vermutlich die meiste Zeit schlafen und ich möchte nicht, dass er sich über irgendetwas aufregt. Er wusste, dass er sich alles wünschen konnte, was man mit Geld kaufen kann. Er wollte ausgerechnet Sie kennenlernen. Bitte tun Sie ihm den Gefallen und machen Sie das Beste aus der Zeit, die Sie mit ihm verbringen.«
»Ich verstehe«, sagte ich und nickte.
Dr. Hartmann stand auf und ich folgte seinem Beispiel. Wir verließen sein Büro und gingen gemeinsam auf die Station.
Mit jedem Schritt wurde ich ein bisschen nervöser. Dr. Hartmann schien es zu merken, sagte aber nichts. Ich hatte aber den Eindruck, einen Moment lang ein zufriedenes Funkeln in seinen Augen zu sehen.
Kapitel 3
Wir standen vor Julians Zimmer, aus dem leise Musik zu hören war.
»Lassen Sie mich zu ihm gehen. Ich sage ihm, dass Sie da sind«, sagte Dr. Hartmann.
»In Ordnung, ich warte.«
Dr. Hartmann öffnete die Tür und betrat das Zimmer. Ich blieb mit einem unguten Gefühl im Bauch an meinem Platz stehen und wartete.
Ich betrachtete meine Rolex und meinen maßgeschneiderten Anzug. Was war das alles wert? Hinter der Tür lag ein Junge im Sterben. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Dieser Besuch war eindeutig die Erklärung für mein seltsames Gefühl an diesem Morgen. Ich fragte mich einen Moment lang, ob ich einer solchen Situation gewachsen war oder ob ich nicht lieber die Flucht ergreifen sollte. Diesen Gedanken verwarf ich aber schnell wieder. Es war schließlich Julians Wunsch. Warum aber ausgerechnet ich?
Durch die geschlossene Tür konnte ich hören, wie der Arzt seinen Patienten freundlich und aufheiternd begrüßte. Dann fragte er Julian, wie er sich fühlte. Seine gemurmelte Antwort konnte ich aber nicht verstehen. Dann sagte ihm Dr. Hartmann, dass ich da sei und fragte, ob er mich zu ihm bringen sollte.
Einen Moment später öffnete er die Tür und schaute mich an.
»Sie können jetzt rein kommen«, sagte der Arzt.
Ich zögerte
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