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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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gesagt?
    Ich will einmal Manager eines Holding-Unternehmens im Bereich kleinflächiger Einzelhandel werden, will dort die Kette der Bahnhofskioske ausbauen, wo die Reisenden Kaffee, Brezeln, Zeitungen und Bücher im Vorbeigehen kaufen? Das hatte er nicht gesagt, aber geworden war er es. Friedrich fährt sich mit der Hand durch das Gesicht.
    Genau ein Jahr war es her, dass er sich in so einem von ihm neu strukturierten Kiosk plötzlich umgedreht hatte. Hatte da jemand was Kritisches hinter seinem Rücken gesagt? Der Mann, der Friedrich aus dem Spiegel neben einem Regal für Reisehygieneartikel entgegenstarrte, trug Anzug, Marke Sorano, knitterfrei, geruchsabstoßend und mit extragroßer Innentasche für Flugtickets. Er machte trotz des strengen Mittagslichts auf den ersten Blick einen noch jungenhaften Eindruck. Auf den zweiten jedoch lauerte eine unendliche Müdigkeit direkt unter der aufgesetzten Tagesfrische, direkt hinter den Augen. Der Mann hob erschrocken die Hand. Er fuhr sich über das Kinn, den Hals und weiter abwärts. Auf dem Schlüsselbein unterhalb des Krawattenknotens ließ er die Hand liegen. Ein Ehering blitzte auf. Ach Annalisa! Der Mann lächelte verlegen. Er hatte Friedrich erkannt. Friedrich hatte den Mann erkannt. Friedrich hatte Friedrich erkannt, im Spiegel neben dem Regal für Reisehygieneartikel. Er hatte seinen Rollkoffer genommen und war zu Gleis 11 gegangen, wo später der Zug zum Flugplatz abfuhr. An dem Tag vor einem Jahr war er zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren an Weihnachten wieder auf dem Weg in seine Heimatstadt gewesen. Mutter Martha lag seit Anfang Dezember im ersten Stock von Haus Wünsche im Bett und wartete darauf, wieder aufstehen zu können. Alle anderen in ihrer Nähe warteten darauf, dass sie starb. Friedrich würde das Erbe übernehmen, das sie ihm so lange verweigert hatte wie eine alte Königin die Thronübergabe. Ja, hatte er am Ende dieser Reise an Weihnachten gewusst, ich werde Haus Wünsche übernehmen. Erst nach Silvester war er nach Hause zurückgeflogen.
    Warum?
    Ein Grund hatte viele Gründe.
    Friedrich schlägt die Tür zu seinem alten Kinderzimmer so heftig zu, dass sie nicht genug Zeit hat, in den Angeln zu quietschen. Schon auf der Treppe verfällt er in leichten Trab. Kaum ist er auf der Straße, fängt er an zu joggen. Das kennt er von sich. Wenn er läuft, nimmt er das Tempo aus seinem Leben. In der äußeren Bewegung holt er die innere Bewegtheit ein.
    In den Bus steigt er beim Kaufhof ein. Den haben die Siebzigerjahre in die enge Gemeinschaft alter Fachwerkhäuser einfach hineingewürfelt. Seit Ende der Achtzigerjahre steht der quadratische Betonklotz leer, aber der Postbriefkasten hängt noch neben dem Eingang. An Werk- und Samstagen wird er um 16   :   45   Uhr geleert, sonntags nie. Hat man den Kaufhof stehen lassen, weil der Briefkasten eine Aufhängung braucht?
    Der Mumienexpress fährt den Hang hinauf. Zu Karatsch. Und zu Vera.
    Ich hätte Schauspielerin werden sollen, wird sie gleich wieder zu Friedrich sagen. Dann werden sie lachen. Wenn nicht darüber, dann über irgendetwas anderes. So miteinander lachen zu können, ist auch ein Glück.

 
    Nachmittag
    20.
    Es ist kurz nach zwei. Gleich werden Jo und er Mettbrötchen schmieren, eine Platte mit, eine ohne Zwiebeln, und in einer guten Stunde werden die ersten Gäste auftauchen. Irgendjemand wird eine selbstgemachte Mousse au Chocolat mitbringen, einen Kuchen oder einen Obstsalat, so wie in jedem Jahr. Grundsätzlich hat Karatsch gerne Gäste, nur nicht solche, die über Nacht bleiben. Immer wenn jemand Fremdes im Haus schläft, hat Karatsch das Gefühl, er habe etwas zu verbergen. Deswegen bittet er Besuch immer mit der ihm eigenen höflichen Rücksichtslosigkeit, den letzten Bus hinunter in die Stadt doch nicht zu verpassen, oder er ruft irgendwann ein Taxi.
    Karatsch starrt auf die weiße Wand über dem Kamin mit den Delfter Kacheln. Hoffentlich kommt Vera bald nach Hause. Hoffentlich hat der Druck direkt unterhalb seines Herzens nichts zu bedeuten und schließt sich nicht als schmerzhafter Ring ganz um ihn. Wie neulich.
    Hoffentlich nicht.
    Er geht in die Diele, um den fusseligen Bademantel von der Garderobe zu räumen, den er vor dem Duschen dort aufgehängt hat. Aus der Küche kommt ein Klappern. Jo räumt die Spülmaschine aus. Das hat etwas Beruhigendes. Wie sich die Zeiten ändern. Früher war er Jos Beschützer. Jetzt fühlt Karatsch sich sicherer, sobald der Sohn in der Nähe

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