Wünsche
ist.
Was wird nächstes Jahr um diese Zeit sein?
Sein Blick fällt auf das Dielenschränkchen. Vera hat Handy und Schlüssel liegen lassen, gleich neben seiner Armbanduhr. Fragend schaut er die Madonna mit dem abschraubbaren Krönchen an, die eigentlich eine kleine Plastikflasche mit Schultern und Hüften einer Frau ist, in einem nonnenhaft langen Kleid. Sie steht immer hier. Die Plastikmadonna hat sich Suse vor vielen Jahren aus Lourdes mitbringen lassen und das Wunderwasser in der Hoffnung auf Heilung in einem Zug leer getrunken. Karatsch will seine Armbanduhr anziehen und hält inne, starrt Schlüssel und Handy an und denkt einen Moment lang, sie ist gar nicht fort, sie ist noch irgendwo im Haus. Vera, ruft er leise Richtung Treppe, und da überfällt ihn die Ahnung vom Gegenteil: Vera ist fort und kommt nie mehr nach Hause. Er schaut in den Spiegel über dem Dielenschränkchen, in den am Morgen bestimmt auch Vera kurz geschaut hat und in den vor vielen Jahren viele Jahre lang Suse geschaut hat. Was ist mit mir, was hab ich denn?, sagt er leise. Er drückt den Bademantel fester gegen seinen Bauch. Woher kommt dieses verdammte Gefühl, dass alles, was ab jetzt auf ihn zukommt, sein Leben nicht leichter machen wird? In dem Moment brummt Veras Handy.
Karatsch nimmt ab.
Mutter?, hört er Jo synchron im Hörer und aus der Küche. Die Stimme ist unsicher, Mutter, wo bleibst du?
Ich bin’s, Sohn, sagt Karatsch mit belegter Stimme, ich bin’s nur. Er geht in die Küche und schüttelt das Handy vor Jos Nase, wie man ein Spielzeug schüttelt, um ein weinendes Kind davon zu überzeugen. Sie hat ihr Handy dagelassen, sagt er, und erst danach legt er auf. Vom Schlüssel sagt er nichts. Er ist eine Botschaft, von der er gar nichts wissen will. Jo poliert weiter Gläser. Das Geschirr aus der Spülmaschine steht geordnet auf dem Tisch. Die Tassen haben die Henkel alle in eine Richtung, wie Tiernasen, die Witterung aufnehmen. Jo wirft das Trockentuch über die Schulter und sagt, sieht so ernst aus, der Karatsch. Er beugt sich mit einer unverschämten Zärtlichkeit vor. Ihre Gesichter sind sich sehr nah. Karatsch zieht die Augenbrauen zusammen. Hoffentlich gewöhnt sich der Junge eines Tages diese Art ab. Reicht es nicht, dass er jung ist, muss er auch noch unwiderstehlich sein?
Bleibst du bis Mitternacht bei uns, Jo?
Hinter Jos Rücken sieht er im Türrahmen die kleine Treppe, die in den Keller führt. Der Abgang ist mit dem hellen Holz verkleidet, aus dem Karatsch einmal eine Sauna hatte bauen wollen. Aber dann wurde Suse krank. Dort unten im Keller hat Vera gewohnt, bis Suse starb. Zu dem Zimmer gibt es einen Extraeingang vom Garten aus. Jo nimmt das Trockentuch von der Schulter. Ich feiere heute woanders, mit ein paar Kumpels, sagt er, und Karatsch, mit einer ungewollten Wut in der Kehle, haucht, ach, du verlässt uns? Jo legt eine Hand an die Wange, Karatsch, bitte, red nicht wie Mutter.
Jo hat sich heute Morgen rasiert. Keine Kinderwange mehr, denkt Karatsch, während er ihn ansieht. Egal, mach, was du willst, sagt er und hört die kindische Enttäuschung in seiner Stimme, du verlässt uns ja sowieso bald, wegen Kiel. Nicht wegen Kiel, wegen dem Studium, sagt Jo, und Karatsch, aber wieso eigentlich musst du gerade Schiffbautechnik studieren, und Jo lacht, wegen der Schiffe, Karatsch, wegen was denn sonst?
Karatsch schaut auf die zwei Platten, die darauf warten, mit Mettbrötchen belegt zu werden. Was ist das nur für eine dumme Ahnung, wegen der er sogar den Bademantel in den verschränkten Armen festhält, als könne er so den Tag daran hindern, seinen Lauf zu nehmen.
Du bist wie deine Mutter, Sohn!
Ja? Wie denn?
Du bist noch viel komplizierter, als du aussiehst.
Trotzdem hat sich der Karatsch mal in Mutter verliebt.
Verlieb du dich bloß nicht auch noch in sie, sagt Karatsch böse, obwohl er komisch sein will.
Keine Sorge, Jo lächelt ruhig, ich verliebe mich nur in Männer.
Was? Hab ich da was nicht mitgekriegt?
War ’n Scherz, Karatsch.
Jo wirft ihm das Trockentuch zu und rennt zwei Stufen auf einmal nehmend in sein Zimmer im ersten Stock hinauf. Eine Tür schlägt, und in der Küche zittert die Lampe über dem Tisch.
21.
Am Flughafen Köln kauft Vera bei einer englischen Fluggesellschaft das Ticket nach London und zahlt bar. Die junge Frau am Schalter in ihrer dunkelblauen Uniform schaut die Geldscheine an, als hätte sie schon lange keine mehr gesehen. Ach so, sagt sie, ohne wohl selber zu wissen,
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