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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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was sie damit meint. Sie hat einen Pferdeschwanz bis zum Hintern. Abflug 16   :   30   Uhr, sagt sie, und Ankunft 16   :   40   Uhr Ortszeit Heathrow, gute Reise. Geht aber schnell, will Vera sagen, lässt es aber. Muss ja nicht jeder merken, dass sie auf dem Weg zwischen Ticketschalter und Gate zwar kein Gepäck, aber eine ganze Provinz an den Fersen hat. Hat es damals diese Zeitverschiebung auch schon gegeben, als sie mit Meret nach London gereist ist? Daran kann sie sich nicht erinnern. Aber wie sie über Ostende mit dem Schiff auf die Insel gekommen sind, weiß sie noch genau. London ist die erste große Stadt in ihrem Leben gewesen. Meret hat schon ihre Tage gehabt, Vera noch nicht. Vergiss nicht, den Mund zuzumachen, wenn du nach London kommst, Vera-Kind, hatte Karatsch dem Zug hinterhergerufen, als er anfuhr, und als sie in Dover vom Schiff in den Zug nach London stiegen, war es früher Morgen, aber der Mond stand noch am Himmel. Er versprach, dass sie beide bald jemanden lieben würden. In den ersten Tagen streunten sie Hand in Hand durch London, so schnell und leicht, als liefen sie Schlittschuh. Himmel und Erde federten über und unter ihnen hinweg, wie so oft, wenn sie zusammen waren.
    22.
    Kurz nach halb drei. Streugranulat liegt auf dem Fußweg zu Karatschs Bungalow, obwohl der Schnee sich am zweiten Weihnachtstag aus dem Staub gemacht hat. Die Räder eines Rollkoffers wenige Schritte vor Friedrich knirschen immer lauter, bis sie blockieren. Der Mann dazu, der mit ihm aus dem Bus gestiegen ist, dreht sich kurz um, ist Mitte dreißig und hat etwas Athletisches, sogar im Gesicht, macht aber nicht den Eindruck, als könne er damit etwas anfangen. Die Gärtnereibesitzerin gegenüber von Karatschs Bungalow klappt ihre Stelltafel zusammen, auf der heute nur HEUTE angeboten wurde. Sie trägt trotz Dezemberkälte ein ärmelloses Kleid, und Friedrich erinnert sich, dass er sich früher in die Oberarme von Frauen verliebte, die er nicht kannte. Ab wann ist man eigentlich alt genug, um endlich erwachsen zu werden? Und ab wann ist man zu alt und zu hässlich dafür?
    Die Straße vor Karatschs Bungalow liegt wie die Einflugschneise eines aufgegebenen Flughafens da. Früh ist es dunkel geworden, so früh, dass die Stadtwerke es nicht geschafft haben, rechtzeitig die Straßenlaternen einzuschalten. Nach Meret, weiß Friedrich, wird ihn gleich niemand fragen. Alle alten Freunde sind froh, dass sie wegbleibt. Dass sie all die Jahre weggeblieben ist.
    Der Mann hat seinen Rollkoffer endlich angehoben und trägt ihn über den Plattenweg des Vorgartens auf Karatschs Haustür zu. Sie ist angelehnt, wie im letzten Jahr. Sicher sind alle bereits da, auch das Rehlein und Lilo und Ludwig Schrei, die sich wie immer bei den Händen halten. Trotzdem. Das Fohlenhafte, das Lilo einmal an sich hatte, ist erloschen, und in Ludwigs Entschiedenheit liegt etwas Halsstarriges. Das ist Friedrich bereits letztes Jahr an Silvester aufgefallen, nachdem er die alten Freunde über zwanzig Jahre nicht gesehen hatte. Alle waren dumpfer, trockener geworden. Nur Vera nicht.
    Leiser Nieselregen setzt ein. Die Gärtnereibesitzerin grüßt von der gegenüberliegenden Straßenseite. Als sie den Arm höher hebt, ist in der Achsel für einen Augenblick ihr Herz zu sehen.
    Ich hätte Schauspielerin werden sollen, hatte Vera am letzten Silvester gesagt, als sie nachmittags vor Karatschs Haustür standen, in einer Wintersonne, die warm war, ohne zu wärmen. In dem Licht hatte sie ausgesehen, als träume sie noch immer von einem Leben, das genau da, wo sie gerade ist, von selber wegbleibt.
    Friedrich hatte genickt, als sei es für nichts zu spät.
    Ich habe immer gedacht, ich könne nichts im Leben, aber alles auf der Leinwand.
    Sie hatte bei dem Geständnis Friedrich direkt in die Augen gesehen. Ihre Wirkung hatte Vera schon immer getestet.
    Ich hatte auch schon eine Menge Text für die Schauspielschule auswendig gelernt.
    Und?
    Sie zuckte mit den Schultern, dann bin ich nicht zur Prüfung gegangen!
    Das Ausrufezeichen am Ende des Satzes war herzerweichend leise gewesen, und sie war mit hochgezogenen Schultern hinter der angelehnten Haustür verschwunden, um aus der Diele eine alte, kurze Motorradjacke zu holen, die sie seit knapp dreißig Jahren besaß, ohne selber Motorrad zu fahren. Sie hatte die Jacke auf der Türschwelle übergezogen, und ihr langes, offenes Haar störte sie dabei. Er konnte ihr nicht helfen.
    Das stand ihm nicht zu. Drinnen in der

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