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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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aufgebaut. Er blieb regungslos auf seiner Matratze liegen, bis man ihn zwang, sich zu bewegen. Dann wandelte er benommen und schweigsam von einem Ort zum anderen. Sobald er allein war, blieb er einfach stehen. Er verharrte an derselben Stelle und starrte blinden Auges durch die vergitterten Fenster. Einmal stand er mehr als eine Stunde lang so da, bis ihn schließlich einer der Wärter weiter den Flur entlangstieß. Er lief, bis man ihn nicht mehr anschubste und er sich wieder seiner völligen Antriebslosigkeit überlassen konnte.
    In dem Moment, in dem Ifasen aufhörte, Teil des aggressiven Wahnsinns im Gefängnis zu sein, wurde er unsichtbar. Er zog sich immer weiter in sich zurück, bis er nicht mehr war als ein kaputtes Möbelstück, etwas, das manchmal im Weg stand und beiseite gestoßen wurde, das aber sonst keinerlei Zwecke erfüllte. Selbst die Wärter schienen ihn nicht zu bemerken, und er wanderte wie ein Geist durch die beengten Räume der Haftanstalt.
    Jetzt saß er da, unberührbar und stumm, getrennt von dem einzigen Menschen, der ihm hätte helfen können. Abayomi klammerte sich an den Plastikstuhl, als befände sie sich auf einer Achterbahnfahrt. Sie zuckte bei den plötzlichen Geräuschen um sie herum immer wieder erschreckt zusammen - bei dem Brüllen der Wärter, dem Zufallen der Gittertore, beim Kratzen der Stuhlbeine auf dem Betonboden. Ihr Kopf wanderte von einer Seite zur anderen, wenn jemand hereinkam oder den Raum verließ. Sie beobachtete Besucher und Häftlinge gleichermaßen voll Misstrauen und Besorgnis.

    Ifasen wartete. Noch nie zuvor hatte er sie derart fehl am Platz erlebt wie jetzt, derart ihrer Umgebung ausgeliefert. Er hätte sie so gern in die Arme genommen und sie beruhigt, ihr gesagt, dass alles gut werden würde. Doch sein Körper schien von innen heraus zu schwären. Tief in seinem Herzen wusste er, dass er sie niemals mehr halten würde, nie mehr auf diese uneingeschränkte Weise, wie er sie an sich gedrückt hatte, als sie zu Beginn ihrer Liebe miteinander ins Bett gekrochen waren. Damals war er schon glücklich gewesen, wenn er ihren Körper an den seinen drücken und ihr Atmen spüren konnte, sein Ohr an ihrer Brust, ihrem Herzschlag lauschend. Er hatte sie umfassender geliebt, als er das jemals für möglich gehalten hätte.
    Jetzt wusste er, dass er niemals mehr lieben würde, weder Abayomi noch sonst einen Menschen. Um lieben zu können, brauchte man ein inneres Gleichgewicht. Um ohne Einschränkungen lieben zu können, musste er in der Lage sein, seinem Gegenüber angstlos sein ungeschütztes Selbst zu offenbaren - und diese Tage waren unwiederbringlich vorüber. Ihm war seine Mitte entrissen worden, physisch und gewaltsam genommen, und er war ohne Gleichgewicht und tief verletzt zurückgeblieben. Er war beschmutzt. In seinem Kern gab es nichts anderes mehr als eine eiternde Wunde. Er merkte, wie sich die Infektion in seinem Bauch ausbreitete, ein Tumor, der seinen Magen verhärtete und seine Speiseröhre mit Galle füllte. Es war nicht der stechende Schmerz, den er verspürte, wenn er sich bewegte, nicht der qualvolle Druck, wenn er sich hinsetzte, und nicht das klamme Unbehagen seiner gebrochenen Nase, was ihm so zusetzte. Es war vielmehr das Wissen, was geschehen war, und die unauslöschliche Erinnerung daran, die alles überlagerte und zerstörte, wohin er sich auch wandte.
    Er würde Abayomi gegenüber die Vergewaltigung verschweigen. Er hätte sowieso nicht gewusst, wie er die Worte dafür finden
sollte. Wie hätte er ihr das Vorgefallene erklären können? Die Widerwärtigkeit der Sprache, die er dafür hätte benutzen müssen, machte es unmöglich. Es würde für immer sein schreckliches Geheimnis bleiben. Für ihn würde es leichter sein, zu behaupten, dass er fremdgegangen war und sich bei einer anderen Frau infiziert hatte, als die grausame Wahrheit zuzugeben. Seine Demütigung mit Abayomi zu teilen, würde bedeuten, dass er seiner Würde noch mehr beraubt wäre. Im Grunde wusste Ifasen, dass er sich das Leben nehmen sollte. Aber die Vorstellung, Khalifah vaterlos und ohne seinen Beistand in einem unversöhnlichen Land wie diesem zurückzulassen, quälte ihn unsäglich.
    Abayomi blickte auf. Sie hatte gemerkt, dass er eine Bewegung in ihre Richtung gemacht hatte. Aber Ifasen hob nur die Hand und tupfte sich mit einem Finger den Mund ab. Es war offensichtlich, dass er geschlagen worden war. Seine Nase war geschwollen, und auf seiner Lippe klebte trockenes

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