Würfelwelt (German Edition)
Frage erscheint mir seltsam. Warum kann ich sie überhaupt noch stellen?
Ich bin anscheinend nicht tot. Noch nicht.
Oder ist dies das Jenseits? Werde ich für immer hier sein, schwerelos, gefangen in endloser Finsternis?
Aber die Leere ist nicht absolut. Etwas existiert: ein winziger, blasser Fleck, unendlich weit entfernt.
Er wird größer, verwandelt sich in ein unregelmäßiges, grünlich graues Gebilde.
Ich falle darauf zu.
Bald erkenne ich eine Insel, die im Nichts schwebt. Säulen aus Obsidian ragen mir entgegen, jede von einem schimmernden Kristall gekrönt. Schwarze Gestalten mit leuchtenden Augen blicken zu mir auf, während ich auf sie herabstürze.
Ich schlage auf dem Boden auf. Ein Stromschlag durchzuckt mich. Ich trinke einen Heiltrank, doch ich spüre, dass die Energie bereits wieder zu sinken beginnt, ohne dass ich angegriffen werde. Etwas zehrt meine Kraft auf.
Die Spritze. Amelies Vater hat mir etwas injiziert. Eine Überdosis Schlafmittel vielleicht.
Er ist schlau. Es wird eine Weile dauern, bis die Linie meines Pulsschlags flach wird und die Geräte neben meinem Bett Alarm auslösen. Er wird Zeit genug haben, das Krankenhaus unerkannt zu verlassen.
Ich muss aufwachen! Jetzt sofort!
Doch ich bin im Ende gefangen. Und wieder scheint die einzige Möglichkeit, hier herauszukommen, darin zu bestehen, ein Monster zu besiegen: den schrecklichen Enderdrachen.
Um mich herum stehen Dutzende Endermen. Sie drehen suchend ihre Köpfe, als spürten sie meine Anwesenheit, könnten mich aber nicht sehen. Ich vermeide ihre Blicke.
Das Rauschen ledriger Schwingen ist zu hören. Er kommt!
Der Drache ist riesig. Seine Augen leuchten kalt, als er mitten durch eine Obsidiansäule fliegt, genau auf mich zu. Das fahle Licht spiegelt sich auf schwarz glänzenden Schuppen.
Eine Sekunde lang kann ich nicht anders, als seine Schönheit zu bewundern. Dann trifft mich sein schmaler Kopf hart an der Brust. Etwas zerbricht in meinem Inneren.
Ich werde ein paar Blöcke weit zurückgeschleudert. Der Drache fliegt über mich hinweg und windet sich in den schwarzen Himmel empor, um mich sogleich erneut ins Visier zu nehmen.
Die Endermen stehen stumm um mich herum und sehen zu, wie ich verzweifelt um meine Existenz kämpfe.
Schon schießt er wieder herab. Ich werfe mich zur Seite und entgehe knapp seinem Angriff. Es gelingt mir, ihm einen Schwerthieb zu verpassen, während er an mir vorbei gleitet. Doch als er an einer der Säulen vorbei fliegt, strömen aus dem Kristall leuchtende Blasen zu ihm und heilen seine Wunde.
Wenn ich ihn besiegen will, muss ich zuerst die Kristalle auf den Säulen zerstören. Doch das werde ich niemals schaffen. Ich habe nur ein paar Dutzend Pfeile bei mir – zu wenig, um diesen Kampf zu überstehen. Und die Heiltränke können immer weniger gegen den schleichenden Verlust meiner Lebenskraft ausrichten.
Plötzlich taucht eine Erinnerung aus meinem Unterbewusstsein auf, die so wenig zu meiner verzweifelten Situation zu passen scheint wie eine Clownsnase zu einer Beerdigung. Wir haben Kunstunterricht. Frau Dr. Hennigmeier zeigt uns ein Gemälde des surrealistischen Malers René Magritte. Darauf ist eine altmodische Tabakpfeife zu sehen. Darunter steht: Ceci n'est pas une pipe . Dies ist keine Pfeife.
Ich weiß noch, dass einige von uns gelacht haben. Wir hielten das Bild für einen schrägen Witz. Doch die Lehrerin hat uns erklärt, was Magritte damit sagen wollte: Das Bild eines Gegenstands ist nicht der Gegenstand. Wir haben eine Weile über Sinneswahrnehmung und Platons Höhlengleichnis diskutiert. Es kam häufiger vor, dass Frau Dr. Hennigmeier die Kunststunde zum Philosophieunterricht umfunktionierte. Große Maler seien nun mal oft auch große Philosophen gewesen, hat sie behauptet.
Ich hätte nie gedacht, dass es ausgerechnet ihr Kunstunterricht ist, der mir im kritischsten Moment meines Lebens weiterhilft.
Dies ist nicht Minecraft .
Der Enderdrache schießt auf mich zu.
Dies ist kein Drache.
Ich erwidere seinen Blick.
Als er mich fast erreicht hat, lasse ich mich zurückfallen. Der Drachenkopf verfehlt mich um einen Zentimeter.
Ich umklammere den langen Hals des Monsters, kralle mich an seinen Schuppen fest. Erst jetzt wird mir bewusst, dass der Drache nicht eckig ist und dass ich Hände habe, um mich an ihm festzuhalten.
Der Enderdrache reißt mich empor. Es gelingt mir, ein Bein um seinen Hals zu schlingen und mich hochzuziehen, so dass ich rittlings auf seinem Hals
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