Würstelmassaker
beruhigen, »du sollst dich doch nicht aufregen .«
»Du hast gut reden, Bub«, entgegnete sie lebhaft, »aber wenn du wüsstest, was ich weiß, würdest du dich auch aufregen. Ruhiger werde ich erst sein, wenn ich dir alles erzählt haben werde .«
»Na, dann schieß los«, ermunterte Palinski Nettie und stellte sich auf ein längeres Telefonat ein.
»Das Thema eignet sich nicht fürs Telefon«, entgegnete Tante Nettie. »Wahrscheinlich werden wir abgehört«, flüsterte sie. »Du musst unbedingt herkommen, und zwar sofort .«
»Gut, dann komme ich morgen vorbei, am Nachmittag .«
»Ich habe nicht gesagt, so bald wie möglich, sondern sofort«, stellte die alte Dame erbost fest .« Sitzt du auf deinen Ohren oder hast du in der Schule die Deutschstunde geschwänzt? Ich erwarte dich in der nächsten Stunde hier in der Residenz .«
Ehe Palinski noch dagegen protestieren konnte, hatte Nettie schon wieder aufgelegt.
Wilma blickte ihn fragend an.
»Keine Ahnung, was da los ist. Ich werde wohl am besten gleich vorbei schauen, ehe sie sich noch zu sehr aufregt«, fügte sich Palinski in das Unausweichliche.
Andererseits war der Gedanke, die unverhoffte Gelegenheit für eine kleine Sünde in Form eines Cappuccinos und einer Topfengoulatsche im »Salettl« zu nützen, durchaus verlockend.
»Aber iss doch wenigstens dein Frühstück fertig«, rief ihm Wilma nach, als er die Wohnung verließ. »Gerade morgens brauchst du etwas im Magen .«
Aber Palinski hörte schon gar nicht mehr hin. Er versuchte, eine Antwort auf die plötzlich ungemein brennende Frage zu finden, ob er der sich bereits zugestandenen Goulatsche nicht auch noch eine jener köstlichen Nussschnecken folgen lassen sollte. Chancen waren immerhin da, um genützt zu werden.
*
Um 6.43 Uhr war Oberinspektor Helmut Wallner, der Leiter der Kriminalpolizei am Kommissariat Hohe Warte informiert worden, dass der von den Medien als »Schlächter von Döbling« bezeichnete, offenbar geisteskranke Serienmörder wieder zugeschlagen hatte.
Ein linker Arm, der erste Nachweis seines wahnsinnigen Wirkens, war vor etwas mehr als drei Wochen, am letzten Dienstag im Juli, in einem Mistkübel in der Parkanlage vor der ehemaligen Hochschule für Welthandel gefunden worden.
Inzwischen waren 17 Körperteile von insgesamt fünf Personen aufgetaucht, die vor allem in Döbling, zum Teil aber auch in den angrenzenden Bezirken Währing und Alsergrund deponiert worden waren. Dank modernster gerichtsmedizinischer Methoden, vor allem der DNS – Analyse war es möglich gewesen, festzustellen, welche Arme und welche Beine zusammengehörten. Und von welchem der beiden bisher aufgefunden Rümpfe diese Gliedmaßen stammten oder auch nicht. Kopf war bisher noch kein einziger aufgetaucht. Ein Phänomen, das von der Psychiatrie mit einem lateinischen Namen belegt und als der Drang, Trophäen zu sammeln beschrieben wurde.
Besonders auffällig war und von den medizinischen Experten widerwillig anerkennend erwähnt wurde die saubere, fachmännische, ja nahezu mit chirurgischer Präzision vorgenommene Abtrennung der Glieder vom Rumpf, die auf medizinische Vorbildung und die Verwendung entsprechender Instrumente schließen ließ.
Die Identifizierung der Opfer war verständlicherweise sehr schwer und bisher erfolglos verlaufen. Lediglich in einem einzigen Fall hatten die Fingerabdrücke eine Entsprechung in der Zentraldatei gefunden.
Seit vorgestern wusste Österreich und vor allem das durch die wiederkehrenden schrecklichen Funde zunehmend wie paralysiert wirkende Wien, dass der Arm einem Roman S. aus dem Flachgau gehörte, der seit zwei Jahren an der Wirtschaftsuniversität studiert hatte. Die Identifizierung war ein reiner Glücksfall gewesen. Die Fingerprints des 25-jährigen, der vor neun Jahren bei einem Autodiebstahl erwischt und erkennungsdienstlich behandelt worden war, hätten nach Gesetzeslage schon längst gelöscht worden sein müssen.
Dem Umstand, dass die linken Beine aller fünf bisher festgestellten Opfer bereits aufgetaucht waren, verdankte die Polizei die rasche und gut abgesicherte Erkenntnis, dass die Zahl der Opfer nunmehr auf mindestens sechs angewachsen sein musste.
Die lackierten Fußnägel ließen zudem noch den als Arbeitshypothese durchaus zulässigen Schluss zu, dass es sich bei dem letzten Opfer mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Frau handeln dürfte. Die festgestellte Schuhgröße 38 sicherte diese Annahme zusätzlich ab. Aber »Sicher is nix«,
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