Wuestentochter
sein Gesicht gen Mekka gewandt war.
»Im Namen Allahs und bei Allah«, flüsterte Khalidah zusammen mit allen anderen, als der Körper der Erde übergeben wurde.
Al-Afdhal warf die erste Schaufel voll Erde in die Grube. Als sie auf den Toten niederprasselte, wandte sich Bilal ab und rannte davon.
Khalidah harrte während der gesamten dreitägigen offiziellen Trauer an der Seite ihres Freundes aus. Wie es die Tradition verlangte, empfing Bilal die unvermeidlichen Besucher, aber ihre Beileidsbekundungen stießen bei ihm auf taube Ohren. Weder lächelte er, noch fand er ein Wort des Dankes, sodass niemand lange blieb. Doch als die Trauerphase vorbei war und man ihn wieder allein ließ, brach er endlich sein Schweigen.
»Er hatte kein Kind«, sagte er mit der Stimme eines alten Mannes.
Khalidah sah ihn verwirrt an.
»Der Prophet sagt, dass nach dem Tod vom irdischen Leben nur dreierlei bleibt: die Wohltätigkeit, die der Verstorbene zu Lebzeiten ausgeübt hat; sein Wissen, von dem andere profitieren, und sein Kind, das für ihn betet. Salim war nicht sonderlich wohltätig, zum Wissen dieser Welt hat er kaum etwas beigetragen, und soweit mir bekannt ist, hat er auch kein Kind.«
Khalidah dachte lange nach, bevor sie antwortete. »Er hatte wenig Zeit, um sich um seine Mitmenschen zu kümmern oder philosophische Thesen aufzustellen oder ein Kind zu zeugen … aber er hat geliebt, Bilal. Das konnte sogar ich sehen, obgleich ich ihn kaum gekannt habe. Ist das nicht auch ein wertvolles Vermächtnis? Er mag nicht mehr da sein, aber die Liebe, die ihr füreinander empfunden habt, wird dich dein Leben lang begleiten.«
»Vielleicht hast du Recht«, erwiderte Bilal matt.
»Aber das ist nur ein schwacher Trost?«
»Es ist überhaupt kein Trost.«
Khalidah betrachtete den versteinerten jungen Mann, der ihr bester Freund gewesen war, seufzend. »Ich würde wirklich alles tun, um deinen Schmerz zu lindern, Bilal.«
Ein bitteres Lächeln verzerrte sein Gesicht. »Das weiß ich. Aber du kannst nichts für mich tun … es sei denn, du könntest mir eine Welt schenken, in der er nicht hätte sterben müssen.«
Wieder herrschte lange Schweigen zwischen ihnen. Endlich brach Khalidah es. »Weißt du, Bilal, das kann ich in gewisser Hinsicht vielleicht wirklich.«
Als sie in ihr Zelt zurückkam, wartete Sulayman dort auf sie. Er war in seiner gelben Tunika prächtig anzuschauen, und Khalidahs abgrundtiefe Erschöpfung schlug augenblicklich in Zorn um. »Was willst du hier, Sulayman?«, fragte sie kalt. »Du wirst mich nie dazu bewegen, meine Meinung zu ändern.«
»Und wenn ich dir sage, dass ich nicht der Einzige bin? Die Hälfte der Dschinn will hierbleiben und dem Sultan bei seinen weiteren Eroberungsfeldzügen zur Seite stehen.«
»Eroberungsfeldzüge?«, wiederholte sie benommen, während sie mit einem feuchten Tuch den Kajal rund um ihre Augen entfernte. »Ich dachte, sie wären hergekommen, um Mobarak Khan zu finden.«
»Das sind sie auch«, gab er mit unverhohlener Gereiztheit zurück. »Und sie meinen, ihn gefunden zu haben, deshalb wollen sie bleiben. Seine Mission ist noch nicht beendet, also ist es die ihre auch nicht.«
»Und wie denken die anderen darüber?«
»So wie du«, entgegnete er bitter. »Sie glauben, mit der Schlacht von Hattin von ihren Pflichten entbunden worden zu sein.«
»Ich habe mich dem Sultan nie verpflichtet gefühlt, Sulayman«, versetzte Khalidah kühl. »Nur Allah, den Dschinn und vielleicht mir selbst.« Sulayman machte Anstalten, etwas zu erwidern, doch sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. Zum Schweigen verurteilt trat ein geradezu verzweifelter Ausdruck in seine Augen. »Es hat keinen Sinn, Sulayman. Weder wirst du mich umstimmen noch ich dich. Wir haben eine lange Reise zusammen zurückgelegt, aber hier trennen sich unsere Wege.«
»Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«, wollte er wissen, als sie die Hand zurückzog. »Du gibst unsere gemeinsame Zukunft einfach so auf?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen. Bitte lass mich jetzt allein, Sulayman. Ich bin mit meiner Kraft am Ende.«
»Khalidah …«
»Lass mich allein«, wiederholte sie. Heiße Tränen brannten in ihren Augen. »Tu, was du meinst, tun zu müssen, und lass mich versuchen, vielleicht doch noch so etwas wie Frieden zu finden.«
Sulayman sah sie lange an, musste aber am Ende einsehen, dass sie Recht hatte: Es gab nichts mehr zu sagen.
Am nächsten Tag verließ Khalidah, gefolgt von einem Drittel der
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