Wumbabas Vermaechtnis
Menschen. Deswegen gibt es ein tiefes Bedürfnis nach Umdichtung, nach Besserem, Klangvollerem, Poetischerem.
Beginnen wir mit einem Beispiel. Peter Maffay singt:
»Über sieben Brücken musst du geh’n,
sieben dunkle Jahre übersteh’n,
sieben Mal wirst du die Asche sein,
aber einmal auch der helle Schein.«
Das ist kein schlechter Text: Asche sein, heller Schein, okay. Aber der Zusammenhang zwischen Brücken und dunklen Jahren ist unklar: Sind das Jahre unter den Brücken? Im dunklen Schatten der Brücken? Derart unzufrieden mit der Dichtung war auch Frau S. aus Kiel, die hörte:
»Über sieben Brücken musst du geh’n,
sieben Donkleare übersteh’n…«
Bei dieser Variante werden die Fragen nicht weniger, aber das ist ja gerade das Gute: Was sind Donkleare? Warum muss man sie übersteh’n? Und wie? Das Wort ist zunächst vollkommen sinnfrei, es hat bisher nicht existiert, aber weil das so ist, hat der Hörer die Freiheit, es mit Bedeutung aufzuladen. Was könnte ein Donklear sein? Hat es etwas mit Nuklear zu tun? Es ist ein düsterer Begriff, und ich assoziiere seltsamerweise ein anderes Düsterwort, den »Komtur«, welchen der Opernfreund aus Mozarts Don Giovanni kennt. Der Komtur ist der Vater von Donna Anna. Don Giovanni verführt sie, wird darauf vom Komtur zum Duell gefordert und tötet diesen. Der aber taucht am Schluss als Statue wieder auf, reicht Giovanni seine kalte Hand – und der wird von der Erde verschluckt.
Wer den Komtur je, in München zum Beispiel, als todbringende Statue auf der Opernbühne gesehen hat, weiß, was ich meine. Das ist eine vernichtende Figur, und in dieser Art stelle ich mir auch einen Donklear vor: übermenschlich groß, dunkel gewandet, röchelnd atmend. So bekommt der Text eine neue Dimension: Sieben solcher Donkleare muss man überstehen, das ist etwas anderes als sieben dunkle Jahre. Viel größer.
Robert Gernhardts Buch Gedanken zum Gedicht enthält einen Aufsatz zum Thema: Darf man Dichter verbessern? Gernhardt erörtert diese
Frage hin und her und kommt zum Ergebnis: Ja, man darf, allein schon, weil durch den Verbesserungsversuch das alte Gedicht ja nicht verschwindet, sondern
nur ein neues hinzukommt, das man mit dem alten, verbesserten vergleichen kann.
Diesem Grundansinnen folgend muss man auch Schlagersänger verbessern dürfen – und sei es, indem man sie missversteht. Ein sehr schönes Beispiel
haben wir bei der Band Juli und ihremRiesenhit Dieses Leben , in dem Sängerin Eva Briegel mit glockenhell-klarer Stimme
vorträgt, wie kalt ihr sei, wie leer ihr Weg, wie grau, kalt, schwer diese Nacht, wie gefangen sie sei, wie sie falle und wie die letzten Lichter bald
ausgingen – und doch und doch: »Ich geb nicht auf.« Und warum nicht? Hier, bitte sehr:
»Denn ich liebe dieses Leben,
ich liebe den Moment, in dem man fällt…«
Dann kommt die zweite Strophe:
»Nimm mir die Kraft,
nimm mir das Herz,
nimm mir alle Hoffnung und all den Schmerz aus meiner Hand und gib sie nicht mehr her.
Was soll das sein,
wo soll ich hin,
wo sind meine großen hellen Pillen?
Auch wenn wir geh’n,
weiß ich nicht wohin.«
Ist das nicht großartig? Wie aus all diesem Wegnehmen und Nichtmehrhergeben und dem Woher und Wohin plötzlich die glasklare Frage auftaucht: Wo sind meine großen hellen Pillen? Nicht nur irgendwelche Pillen, sondern die großen, die hellen. Was mögen das für Pillen sein? Sind es die Antidepressiva, die Lebensliebepillen? Hörpillen? Schlagertexttabletten? Wäre dann mit diesem »Was soll das sein, wo soll ich hin« sozusagen die Lage des Schlagerdichters beschrieben, der an seinem Schreibtisch nicht mehr weiter weiß und deshalb seine Dichtertabletten sucht, die ihm das Weitertexten ermöglichen und ihn in die Lage versetzen, die abschließenden Zeilen zu erschaffen: »Auch wenn wir geh’n, weiß ich nicht wohin.«
Jedenfalls ist die Zeile besser als das, was Eva Briegel wirklich singt: »Wo sind meine großen Helden hin?« Was sollen denn das für Helden sein? Wo kommen sie her? Und was für Pillen nehmen sie? Ähnlich funktioniert das bei Laith Al-Deens Song Keine wie du , bei dem Frau P. aus Stuttgart verwirrenderweise immer hörte: »Ich war auf den Gipfeln ohne Berge«, wo es eigentlich heißt: »auf den Gipfeln hoher Berge«. Das klingt rätselhaft, gewiss, denn bisher war ein Gipfel ohne Berg nicht denkbar. Darin liegt aber nun der poetische Reiz des falschen Textes: dass der Hörer gezwungen wird, sich quasi in der
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