Wunder wie diese
neun sehe ich mich auf der Dachterrasse um und bemerke, dass Kathy verschwunden ist. Ich werfe einen Blick ins Billardzimmer. Auch da ist sie nicht. Hmm, mir fällt auf, dass Stuart auch nicht da ist. Bianca spielt für ihn. Sobald das volle Ausmaß der Bedeutung zu mir durchdringt, suche ich Chris. Er kommt gerade mit zwei frischen Strawberry-Daiquiris auf die Dachterrasse. Auch er sieht sich suchend um, bis ihm klar wird, dass sowohl sie als auch Stuart verschwunden sind. Er stellt die Daiquiris ab, lehnt sich über die Brüstung der Dachterrasse und blickt suchend in den Garten hinunter und zum Steg. Dann dreht er sich abrupt um und geht schnurstracks ins Haus zurück. Der entschlossene Schritt und die ungewohnte Härte um seinen Mund herum bringen mich dazu, mein eigenes Glas abzustellen und aufzustehen. Jeremy erhebt sich ebenfalls und will mich dazu bringen, mich wieder hinzusetzen.
»Ich seh besser mal nach Chris…«, fange ich an und greife plötzlich nach Jeremys Arm, um mich festzuhalten. Mir ist ein wenig schwindelig. Vielleicht liegt’s am Wein, aber vielleicht bin ich auch einfach nur zu schnell aufgestanden.
Jeremy stellt sein Glas ab und legt stützend den Arm um mich.
»Chris geht’s gut«, sagt er. »Der kommt bestimmt gleich wieder.«
Ich denke einen Moment lang gründlich darüber nach, dann mache ich mich los und torkle unsicher durch den Raum.
»Ich bin gleich wieder da«, nuschle ich über meine Schulter hinweg.
Bei Bianca ist es ein bisschen wie im Labyrinth, aber nachdem ich längere Zeit nach einem Weg nach unten gesucht habe, entdecke ich eine Treppe. Ich hole tief Luft, bevor ich hinuntersteige, halte mich am Geländer fest und fühle mich eindeutig irgendwie… seltsam…
Halt mal. Vom oberen Treppenabsatz kommen schnelle Schritte. Chris taucht auf, seine Miene ist so finster wie der Himmel vor einem Hagelsturm.
»Hey«, setze ich gerade an, aber er nimmt zwei Stufen auf einmal und rempelt mich fast um, so dass ich, hätte ich mich nicht sowieso schon am Geländer festgehalten, umgekippt wäre.
»Chris!«
Keine Antwort. Eine Tür knallt.
Ich laufe hinter ihm her nach draußen durch den Vorgarten auf die Straße. Ich sehe, wie er mit großen, wütenden Schritten davongeht.
Ich renne ihm nach. »Chris! Chris!« Beim zweiten Rufen dreht er sich um.
»Verpiss dich, Amelia!«
Er meint es ernst. Er hat mich noch nie, niemals, bei meinem richtigen Namen genannt. Ich stehe da, ringe nach Luft und trau mich nicht, noch etwas zu sagen, bis er sich abwendet und mich stehen lässt.
Ich schlucke die Tränen herunter und höre, wie etwas weiter die Straße hoch Glas zerbirst, dann ein entferntes »SCHEEEIIISSE!«. Es klingt eindeutig nach Chris.
Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter. Jeremy steht neben mir und sagt: »Der wird schon wieder.«
Ich kämpfe wieder mit den Tränen und drehe mich zu ihm um.
Mein Kopf schwirrt vor Fragen, allgemeiner Unglücklichkeit und dem Schmerz, von Chris so zurückgewiesen worden zu sein. Dabei würde ich für ihn durch die Sahara ziehen, wenn ich ihm damit helfen könnte. Das alles hört sofort auf, als Jeremy die Hände um meine Taille legt und mich ohne Umschweife auf den Mund küsst.
Wo kommt das denn bitte plötzlich her?
Ich mache mich los und reagiere mit meiner geballten Wortgewandtheit, die man bei einer derartigen Gelegenheit wie dem ersten Kuss aufbringen kann: »Häh?«
Jeremy antwortet, indem er mich noch einmal küsst.
Auf einmal schießt es mir durch den Kopf:Was passiert hier gerade? – Ich sollte Chris hinterhergehen. – Das ist die Spucke von jemand anderem in meinem Mund. – Da ist eine Zunge! – Vielleicht wäre es besser,jetzt aufzuhören. – Seltsam. – Okay, das ist gar nicht so schlecht. – Nicht schlecht…
Jeremy hat seine Finger mit meinen verschränkt, drückt sie sanft und hört auf, mich zu küssen. Ich öffne die Augen und sehe ihn an. Ich spüre seinen Atem auf meinen Lippen. In den Sekunden, in denen wir uns küssten, habe ich es zum ersten Mal seit Monaten geschafft, nicht an Chris zu denken. Faszinierend und auch irgendwie befreiend.
»Komm wieder rein«, sagt er.
»Okay.«
Er führt mich an der Hand ins Haus. So ist es also, mit einem Jungen Händchen zu halten,denke ich . Schön.
Anstatt mich durch das Haus zur Dachterrasse zu lotsen, wo die Party stattfindet, geht Jeremy zielstrebig nach links in ein schickes Esszimmer, das anscheinend eher selten benutzt wurde. In der Mitte des Raums steht
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