Wunder wie diese
hinüber, unbemerkt, wie ich hoffe. Chris hat recht: Sie könnte ein Sandwich vertragen. Und die Zigaretten, die ihr Jeremy rüberschiebt, tun ihr Übriges. Wie auch immer, mir kann’s ja egal sein.
Als ich Penny am Donnerstag in der Schule treffe, beschwere ich mich bei ihr über die Situation auf Arbeit. Wir lassen uns am Rand des Rasens nieder, um uns zu unterhalten, bevor wir zu den anderen gehen. Ich glaube, sie weiß nicht so genau, was sie von Chris halten soll oder wie die Sache am besten für mich ausgehen könnte.
»Er benimmt sich wie ein Arschloch«, sagt sie argwöhnisch.
»Ja«, pflichte ich ihr bei und füge dann noch eilig hinzu: »Er ist aber nicht immer so.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Mum and Dad stressen immer noch, damit ich die Schule wechsle. Sie wollen, dass ich die Prüfung für ein Stipendium und die Aufnahmeprüfung für ein paar auserlesene Schulen mache.«
Pennys Eltern sind nicht besonders glücklich über ihre schulischen Leistungen. Sie könnte sich etwas mehr anstrengen, finden sie. Sie könnte bessere Noten haben, finden sie. Sie bräuchte mehr Führung, finden sie.
Und ich finde, genau das ist es, was Penny ausmacht. Ihre Unlust ist eine ihrer wunderbarsten Eigenschaften. Nur ein Beispiel: Sie hasst Sport. Nein, nein, ich meine es wirklich ernst: haaaaasst Sport. Ich bin selbst herzlich wenig begeistert davon, am helllichten Tag in einem oberpeinlichen Outfit in der sengenden Mittagssonne rumzurennen, bis ich hochrot und völlig verschwitzt bin, dann (ohne zu duschen) wieder in meine Schuluniform zu steigen und den Rest des Tages vor Schweiß zu kleben. Aber ich mach das trotzdem zweimal die Woche mit, wie es von mir erwartet wird, genauso wie alle anderen Mädchen auch.
Das gilt aber nicht für Penny. Sie hat noch nie Sport geschwänzt. Sie kommt hin, in diesem gelassenen, weit ausladenden Gang, der so typisch für sie ist, aber anstatt mit allen anderen in die Umkleidekabine zu gehen, lässt sie ihren Rucksack im Schatten auf den Rasen plumpsen, setzt sich daneben, holt ein Buch oder eine Zeitschrift raus – nie was für den Unterricht – und fängt an zu lesen. Sie versucht gar nicht erst, der Lehrerin was von Periodekrämpfen oder Kopfschmerzen zu erzählen. Sie fälscht auch keine Entschuldigungen von ihrer Mutter. Sie nimmt einfach nicht am Sportunterricht teil. Punkt. Es ist eine allgemeine und unumstößliche Tatsache. Mrs McGill stellt sie deshalb nie zur Rede, sondern hakt sie einfach auf der Anwesenheitsliste ab. Einfach nur aufgrund von Pennys kompromissloser Art. Wie ich schon sagte: Sie ist dabei herrlich entspannt. Außerdem sind ihre Noten völlig in Ordnung. Keine Ahnung, warum ihre Eltern so ein Drama daraus machen. Der Gedanke, dass Penny die Schule wechseln könnte, ist der blanke Horror für mich.
Donnerstags ist es immer recht ruhig in der Mittagspause, weil alle noch eine Doppelstunde Mathe vor sich haben. Jeder stimmt sich schon mal mental darauf ein, und wenn dann die Glocke schrillt, rührt sich erst mal keiner. Alle sind wie erstarrt – wie Tiere, die vom Scheinwerferlicht des entgegenkommenden Mathematik-Fernlasters geblendet werden.
Als ich in Mathe neben Penny sitze, bemerke ich, dass sie jetzt in jedem Ohr zwei Löcher statt bisher eins hat.
»Wann hast du dir denn die stechen lassen?«, frage ich, überrascht, dass sie nichts davon erwähnt hat.
»Letztes Wochenende«, antwortet sie und hält den Blick auf ihr Mathebuch gerichtet.
»Wo hast du’s machen lassen?«
»Hab es selbst gemacht.«
»Du hast WAS?«
»Ich habe sie mir selbst gestochen. Mit Eiswürfeln und einer Nadel.« Sie sieht immer noch stur in ihr verdammtes Trigonometrie-Buch. Ich bin völlig baff.
Ich lege meine Hand mitten auf die Seite ihres aufgeschlagenen Buchs. »Verdammt, Süße. Du hättest eine Blutvergiftung kriegen können! Warum hast du’s nicht in einem Schmuckgeschäft machen lassen?«
Sie zuckt nur mit den Schultern. »Ich hab die Nadel abgekocht und alles.«
»Was haben deine Eltern dazu gesagt?«
»Ich glaub nicht, dass sie es bemerkt haben. Ich hab’s gemacht, als sie bei einem Treffen mit Jamies Ärzten waren.«
Pennys älterer Bruder geht in die Zwölfte und hatte zu Anfang des Jahres irgendeinen Zusammenbruch. Jetzt wohnt er in einem Wohnheim für psychisch kranke Jugendliche. Die haben dort eine eigene Schule und alles.
»Verdammt, Penny, ich bin… echt … völlig überrascht. Wie hast du es geschafft, dir mit einer Nadel die Ohren
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