Wunder wie diese
riskieren, sonst komme ich zu spät zur Arbeit. Mit dem 760er schaffe ich es gerade so bis um vier. Dort angekommen, binde ich mir hastig das rote Halstuch um, stecke das Namensschild an, stopfe meine Sachen in den Spind, sehe auf dem Dienstplan nach, an welcher Kasse ich in dieser Schicht sitze, und springe auf meinen Platz.
Die Grundlagen
Miss Amelia Hayes, willkommen im Land der Träume!«
Der Junge grinste mich an und wies mir den Weg in dasselbe winzige Büro, in dem ich schon das Vorstellungsgespräch hatte.
»Ich lass euch dann mal allein«, sagte die Abteilungsleiterin und zog hinter sich die Tür zu.
Der Junge und ich musterten uns einen Moment lang von oben bis unten. Ich schätzte ihn auf etwa zwanzig. Er sah unscheinbar aus, aber er hatte eine offene, freundliche Art, die einen sofort für ihn einnahm. Seine Augen funkelten.
»Ich«, sagte er, »bin Chris, dein dir wohlgesinnter Belegschaftsleiter. Du bist mir für drei Vierstundenschichten zugeteilt worden. Ich werde dich Grasshopper nennen und du mich Sensei und ich werde dich in die Woolie-Abgründe führen. In Ordnung?«
»Alles klar«, grinste ich. Es war schwer, nicht zu grinsen.
»Also«, sagte er und kramte in den Hosentaschen. »Wo ist bloß dein…? Aha.« Er zog ein Namensschild hervor, auf dem ›in Ausbildung‹ stand. »Dieses Baby gehört für die nächsten drei Tage erst mal dir. Wenn du dich nicht allzu dämlich anstellst, kriegst du danach dein eigenes, das du bis an dein Lebensende abgöttisch lieben und ehren wirst.«
Er kam auf mich zu und befestigte das Schild an meiner Bluse. Ich wusste nicht, wohin ich sehen sollte.
»Nur damit du Bescheid weißt: Ich bin offen für alle Arten von Bestechung.«
»Gut zu wissen.«
»Dann lass uns mal losziehen.«
Chris zeigte mir, wie man die Einkäufe so einpackte, dass die Kunden möglichst wenig daran auszusetzen hatten. Aber man konnte es natürlich nicht allen recht machen, wie er betonte. Er brachte mir die Namen der weniger bekannten Obst- und Gemüsesorten bei: Steckrüben, Rambutan, Jackfrucht, Kaki, Durian, Tamarillo, Drachenfrucht, Karambola oder Sternfrucht, Okraschoten. Außerdem viele verschiedene Apfelsorten: Fuji, Braeburn, Pink Lady, Bonza, Jonathan, Sundowner, Red Delicious, Golden Delicious, Granny Smith. Dann gab es noch alle möglichen Arten von Kartoffeln: gebürstete Kartoffeln, gewaschene Kartoffeln, Désirée, neue Kartoffeln, Kipfler und Pontiac. Zuerst würde ich wohl noch jedes Mal nach dem richtigen Code dafür suchen müssen, was mühsam war und einen aufhielt, meinte Chris, aber ich würde sie bestimmt bald alle auswendig kennen.
Chris erzählte mir auch, dass es ab und zu absolute Idioten unter den Kunden geben würde.
»Das Wichtigste dabei ist«, sagte Chris, »daran zu denken, dass es nichts mit dir zu tun hat. Diese Idioten gibt es einfach. Und nicht nur hier.«
Am dritten Abend meiner Einweisung war es so weit: Ich sollte zum ersten Mal mit Kunden zu tun haben. Chris wich die erste Zeit nicht von meiner Seite und verbrachte die nächste Stunde in meiner unmittelbaren Nähe, er zwinkerte mir aufmunternd zu und tauchte immer sofort neben mir auf, wenn ich Schwierigkeiten bei irgendetwas hatte. Gegen 20 Uhr ließ der Andrang nach und er kam zu mir herüber.
»Ich glaub, du hast dir ’ne Pause verdient, Kleine.« Er lächelte und stellte das Geschlossen -Schild auf. »Ich lad dich zu ’ner Cola ein.«
Wir saßen in dem leeren Restaurantbereich des Einkaufszentrums. Alle Läden waren bereits geschlossen, die Rollos heruntergelassen.
»Sag mal, Amelia, wie alt bist du eigentlich?«
»Ich bin fünfzehn. Na ja, fast.«
»Wow. Du bist wirklich noch ziemlich jung.«
»Kann schon sein.«
»Gehst du gern zur Schule?«
»Ja. Ja, also meistens zumindest, Mathe ausgenommen.«
»Ich sag’s dir: Das Beste nach der Schule ist, dass man kein Mathe mehr hat.«
»Kann es kaum erwarten.«
»Was ist dein Lieblingsfach?«
»Englisch, auf jeden Fall. Meine Lehrerin in diesem Jahr ist zwar etwas eigenartig, aber trotzdem…«
»Deine Liebe ist also stark und aufrichtig.«
Ich sah ihn erstaunt an. »Wie bitte?«
»Deine Liebe zu Englisch.«
»Ja, klar. Ich hoffe bloß, dass ich sie nicht auch in der Oberstufe kriege.«
»Wen hättest du denn lieber?«
»Miss McFadden. Alle wollen zu Miss McFadden.«
»Aber sie können nicht alle zu ihr.«
»Nein, wohl kaum.«
Es macht Spaß, sich mit ihm zu unterhalten, dachte ich.
»Und was machst du?«, fragte ich
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