Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
Immerhin sei er schon 28, andere hätten da bereits mehrere Kinder. Lisas Familie war nicht das, was man gut situiert nennen konnte, trotzdem wurde die Verlobungsfeier ein großes Fest. Was wohl mehr an seinem Vater lag, der glücklich war, dass sein einziger Sohn doch noch diesen Weg gegangen war. Aber genau wie sein Stern, der in der Stadt der Lichter gesunken war, so wurde aus der Zuneigung und den Gefühlen schleichend eine Zweckgemeinschaft.
»Du trägst schöne Unterwäsche.«
Lisa sah an sich herunter und biss dann wieder in ihren Apfel.
»Warum kaufst du dir ständig neue? Du hast schon seit drei Monaten nicht mehr mit mir geschlafen.« Nikolas kam auf sie zu und strich mit den Fingerkuppen über ihren Rücken. Er konnte spüren, wie die Muskeln unter ihrer seidenen Haut spielten. Er lechzte nach Berührungen, einer kleine Geste, einem flüchtigen Kuss. Sie quittierte seine Aussage mit einem abfälligen Lachen, warf den Rest des Apfels in den Mülleimer und ging an ihm vorbei.
Seine Hand schnellte zu ihrem Arm und umschloss ihn fest. »Kriege ich nicht einmal mehr eine Antwort?«
Sie lächelte hämisch. Die schmalen Finger fuhren über ihre Lippen und wischten die letzten Tropfen des Apfelsaftes weg. »Weil ich gerne gut aussehe«, wisperte sie zischend.
Mit den Fingern löste sie seinen Griff. Es gelang Lisa scheinbar mühelos, obwohl Nikolas zwei Köpfe größer war als sie. In Zeitlupe zog sich ihr Mundwinkel verhöhnend nach oben. Dann wandte sie sich so schnell ab, dass ihr Pferdeschwanz Nikolas’ Gesicht streifte.
»Ich gehe weg, muss noch wen besuchen«, rief sie aus dem Schlafzimmer heraus.
Sollte er ihr nachlaufen? Sie zur Rede stellen? Er war die letzten Wochen, ja Monate, nicht oft zu Hause gewesen. Tief in seinem Inneren hatte er schon damit gerechnet, dass sie sich einen Liebhaber zugelegt hatte. Irgendeinen armen Franzosen, in seiner Vorstellung eine gesichtslose Gestalt, die er nicht kannte und nie kennenlernen würde, wäre ihm lieb gewesen. Doch die schreckliche Vermutung, die sich in den letzten Wochen mehr und mehr bestätigte, ließ ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Und er hatte die beiden einander auch noch vorgestellt!
Nur ein Narr hätte die Zeichen nicht erkannt. Telefonate, die beendet wurden, wenn er ins Zimmer kam. Ausreden, warum sie so lange bei einer Freundin war. Und er hatte nicht einmal die Kraft, ihr eine Ohrfeige zu geben. Nikolas drehte sich zum Spiegel, der über der Arbeitsplatte angebracht war, und seufzte auf. Schon früher fühlte sich Lisa von rauen Typen angezogen. ›Richtige Männer‹, wie sie sagte. Doch in seinem eigenen Antlitz konnte er nichts davon erkennen. Er hatte feine, beinahe zerbrechliche Züge. Selbst sein dunkler Stoppelbart vermochte keine Härte in sein Gesicht zu legen. Dazu die verstehenden, grünen Augen seiner Mutter und nicht das dunkle Braun seines Vaters; Augen, die einem direkt in die Seele blickten. Als sein Atem langsam ruhiger wurde, kam Lisa aus dem Schlafzimmer. Sie trug einen schwarzen Rock, eine dazu passende Bluse und einen Schal, den sie mehrmals locker um ihren Hals gebunden hatte. Ihre schlanken Beine glänzten in diesem Licht und betonten die sportliche Figur.
»Warte nicht auf mich«, sagte sie, ohne ihn dabei anzusehen. Schnell machte sie kehrt, nahm schnell ihre Handtasche und öffnete die Tür.
Mit beiden Fäusten schlug Nikolas auf die Arbeitsplatte. »Danke, mir geht es übrigens gut!«
Er griff nach einer Flasche Wein, füllte das Glas fast bis zum Rand und setzte es an den Mund. Keine Reaktion. Sie kehrte ihm den Rücken und zog den Mantel an. Ihre blonde Haarpracht war nun fest zusammengebunden, sodass sich keine Strähne mehr bewegte.
Sie hatte sich verändert. Die Stadt hatte sie verändert. Die Stadt hatte alles verändert.
»Und grüß Luger von mir«, giftete er in das Glas.
Kurz stoppte Lisa und legte ihren Kopf zur Seite. Wenige Sekunden dauerte ihre Starre, dann fiel die Tür krachend ins Schloss. Als Nikolas aus dem Fenster sah, konnte er den schwarzen Dienstwagen der SS erkennen, der vor der Tür hielt. Er machte sich nicht die Mühe, sie weiter zu beobachten, und ließ sich auf den breiten Sessel im Wohnzimmer sinken. Schnaubend setzte er die Flasche erneut an. Die Anstrengungen des Tages forderten ihren Tribut und er war dankbar, als er die Schwere spürte, die sich mehr und mehr auf seine Lider legte und ihn in einen unruhigen Schlaf gleiten ließ.
Obwohl der Morgen nur
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