Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
Herr Doktor?« Nikolas’ Gedanken sprudelten und mit einem Mal war er hellwach.
»Danke, bei mir ist alles gut, Nikolas. Haben uns lang nicht mehr gesprochen.«
Er nickte, obwohl keiner im Raum war. »Viel zu lange. Hatte hier eine Menge zu tun und … na ja.«
»Hättest dich trotzdem mal melden können. Warst von einem auf den anderen Tag weg. Hast Lisa mitgenommen und dich nicht einmal verabschiedet.«
Nikolas schloss die Augen. »Du weißt doch, hab es einfach nicht mehr ausgehalten. Wie oft haben wir schon darüber …«
Martin fiel ihm mit einer Lautstärke ins Wort, die Nikolas überraschte: »… Ich weiß, dass es nicht einfach war. Das ist aber kein Grund, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu verschwinden. Außerdem hattest du das lange geplant. Eine Versetzung nach Paris wird nicht über Nacht bestätigt. Nein, es war Absicht, dass du uns im Unklaren gelassen hast. Die paar Bier in einer Pariser Kneipe machen das auch nicht mehr wett. Scheiße, wie lange kennen wir uns?«
»Martin, hör doch …« So aufgebracht hatte er seinen Freund selten erlebt. Handelte er doch sonst ruhig und überlegt, was man beinahe mit Schüchternheit verwechseln konnte, wenn man ihn nicht näher kannte.
»Scheiße nein, seit wann kennen wir uns?«
Nikolas schloss die Augen und rieb sich die Stirn. »Seit verdammt langer Zeit.«
Dann machte Martin eine seltsam lange Pause. Während Nikolas den Hörer von einem Ohr zum anderen wechselte und sich eine Zigarette ansteckte, dachte er für einen Moment an ihre Schulzeit in Düsseldorf zurück. Glückliche Zeiten. Doch der kleine dickliche Junge mit der Hornbrille war inzwischen ein richtiger Arzt im Düsseldorfer Klinikum und er selbst war Kriminalpolizist in Paris. Am anderen Ende der Leitung hörte Nikolas seinen Freund seufzen.
»Was ist los, Martin? Mit dir stimmt doch etwas nicht. Warum rufst du an?«, wollte Nikolas schließlich wissen.
»Es tut mir leid. Ich … ich habe versucht, dich früher zu erreichen.« Es hatte sich viel verändert. Nur das leichte Stottern, wenn er aufgeregt war, war geblieben. Martin lachte traurig auf. »Ist gar nicht so einfach, sich zu dir durchzufragen. Habe fast zwei Tage gebraucht, um an der Avenue Foch zu landen und denen klar zu machen, dass ich dich sprechen muss.« Martin atmete schwer. Man konnte lediglich vermuten, wie schwierig ihm dieser Anruf fiel. »Es geht um Erik.«
»Ja, wie geht es dem alten Schlüpferstürmer?«
Seine Stimme wurde leise und begann zu beben. Sie war wie dünnes Eis, kühl und zerbrechlich. »Nikolas, er ist tot.«
Er hatte die Worte verstanden, die sein Freund sagte, doch sie drangen nicht zu ihm durch. Einige Momente vergingen schweigend. Hunderte Gedanken schossen auf einmal durch sein Gehirn. »Was … was sagst du da? Wie konnte das passieren?«
»Es war Selbstmord«, antwortete Martin lang gezogen. »Hier kann sich das auch keiner erklären. Er war mit Medikamenten vollgepumpt, hat seine Tochter ins Auto geladen und ist gegen einen Brückenpfeiler gerast.«
Nikolas fasste sich an den Kopf, als wollte er die Gedanken herausdrücken. »Auch Marie?«
Hatte Martin eben noch leise gesprochen, drang nun durch die Leitung nicht mehr als ein Wispern. »Ja.«
»Oh Gott.« Nikolas verließ die Kraft und musste sich zurücklehnen. Der Hörer balancierte auf seiner Handfläche und konnte jede Sekunde herunterfallen. Einige Herzschläge vernahm er nur das Atmen seines alten Freundes.
»Nikolas?«
»Wann ist es passiert?«
»Vor drei Tagen. Die Beerdigung ist in wenigen Stunden.« Martin begann erneut zu stottern, obwohl seine Stimme fester wurde und ein Hauch Aggressivität aus ihr sprach. »Du warst einfach nicht zu erreichen. Niemand kannte deine Telefonnummer. Selbst dein Vater konnte uns nicht weiterhelfen.« Obwohl er es nicht so klingen lassen wollte, hörten sich seine Worte wie ein einziger Vorwurf an.
»Wie geht es Hannah?«
»Was denkst du, wie es ihr geht?«
Selten dämliche Frage, wie sollte es Eriks Frau schon gehen, nachdem sie ihren Ehemann und das Kind verloren hat.
»Was hast du jetzt vor, Nikolas?«
»Ich komme vorbei, heute noch.«
»Gut, Düsseldorf Nordfriedhof. Wenn du reden möchtest, du weißt, wo du mich findest.«
Nikolas nickte erneut, wartete einen Moment und drückte den Hörer nun wieder fest auf sein Ohr. »Danke. War schön, deine Stimme zu hören, Martin.«
Auf der anderen Seite der Leitung klickte es.
War es wirklich schon so viele Monate her, seitdem er
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