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Wunschkonzert: Roman (German Edition)

Wunschkonzert: Roman (German Edition)

Titel: Wunschkonzert: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hertz
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Tim verdammt gern. Hatte ich schon immer, vom ersten Moment an. Und eigentlich sogar mehr als einfach nur gern. Aber ich hab’s nicht zugelassen, habe ihn permanent abgeblockt und ihn mit dieser blöden Martin-Geschichte wohl nun auch endgültig vertrieben.
    Warum nur? Warum habe ich das getan? Auf der anderen Seite: Tim ging es wohl wirklich nicht um mich, der wollte nur einen Vertrag von mir. Oder doch nicht? Warum hat er das dann aber zu Martin gesagt? Weil es wahr ist – oder aus einem anderen Grund?
    »Stella«, schimpft meine Mutter, »jetzt erzähl mir sofort, was los ist, damit wir uns etwas überlegen können! Ich helfe dir, das weißt du, aber ich muss wissen, was Sache ist.« Ich atme zweimal tief ein und aus – und dann sage ich laut und deutlich: »Nein.«
Klick.
    Schon habe ich das Gespräch beendet. Für ein paar Sekunden schaue ich das Gerät verblüfft an. Habe ich das jetzt wirklich getan?
    Als Nächstes wähle ich noch einmal Miriams Nummer. Als sie abhebt, mache ich mir gar nicht erst die Mühe, sie zu fragen, ob sie Zeit hat, sondern rufe nur ein »Bin in zwanzig Minuten bei dir!« in den Hörer. Dann schnappe ich mir das Buch von David Dressler, meine Handtasche und die Autoschlüssel, stürme aus der Tür und durchs Treppenhaus. Ich muss jetzt dringend mit einer Freundin reden!
    Kaum habe ich im Auto den Motor gestartet, drehe ich die Anlage bis zum Anschlag auf. Wenn meine Gedanken Karussell fahren, ist laute Musik das sicherste Gegenmittel dafür, und momentan befindet sich mein Kopf in ungefähr der zehnten Looping-Schleife. An einer roten Ampel öffne ich das Handschuhfach und krame mit fahrigen Händen nach einer Schachtel Zigaretten. Ist aber keine da, was möglicherweise daran liegt, dass ich seit sechs Jahren Nichtraucherin bin und das Auto erst seit fünf Jahren habe. Dann eben nicht, gereizt klappe ich das Fach wieder zu.
    Im Radio dudelt irgendein scheußlicher Neue-Deutsche-Welle-Song, entnervt drücke ich den Knopf für den Sendersuchlauf. Sekunden später scheint das Radio mit mir zu sprechen.
    I will not make the same mistakes that you did
    I will not let myself cause my heart so much misery
    I will not break the way you did,
    You fell so hard
    I’ve learned the hard way
    To never let it get that far
     
    Because of you
    I never stray too far from the sidewalk
    Because of you
    I learned to play on the safe side so I don’t get hurt
    Because of you
    I find it hard to trust not only me, but everyone around me
    Because of you
    I am afraid
    Ich habe
Because of you
von Kelly Clarkson nie sonderlich gemocht, war mir immer viel zu kitschig. Aber in diesem Moment, als mir der Text in voller Lautstärke um die Ohren ballert, wird mir etwas klar: Ich muss nicht zu Miriam. Ich muss woandershin.
    Eilig drehe ich die Musik aus, rufe Miri übers Handy an, um ihr mitzuteilen, dass ich jetzt doch nicht komme – und dann gebe ich Gas.
     
    Eine knappe Stunde später erreiche ich die Wohnung meiner Mutter in Bremen. Auf dem Weg dahin habe ich vermutlich fünfundzwanzig Punkte in Flensburg kassiert, denn ich bin durch die Baustellen nur so hindurchgeflogen. Mir egal. Wenn jetzt vielleicht sowieso alles in den Dutt geht, habe ich vermutlich bald gar kein Auto mehr, dann brauche ich auch keinen Führerschein.
    Eilig laufe ich die Treppe zu ihrer Wohnungstür hoch und klingele Sturm. Zwei Minuten später öffnet Mama erstaunt.
    »Stella?«, fragt sie. »Was machst du denn hier?«
    »Ich will«, bringe ich atemlos hervor, »mit dir eine Büroklammer tauschen!«
     
    Wir machen die Übungen miteinander. Und zwar alle, bis auf das Karaoke-Singen, denn dagegen hat Mama sich entschieden verweigert. Aber sonst gehen wir Punkt für Punkt die Spiele durch, die wir in der Lüneburger Heide veranstaltet haben.
    »Kind, was soll denn das?«, versuchte meine Mutter, das alles erst abzuwiegeln. »Das ist doch Unsinn!«
    »Da hast du vermutlich sogar recht«, erkläre ich ihr eisern, »aber wir machen es trotzdem.«
    »Aber …«
    »Nein, Mama. Kein Aber.«
     
    Den gesamten Freitagabend verbringen wir damit, eine Büroklammer in der Nachbarschaft einzutauschen. Mama steht am Anfang mit fest zusammengedrückten Lippen neben mir, so dass man fast den Eindruck bekommen könnte, sie habe gar keinen Mund. Als sie ihn schließlich öffnet, beklagt sie sich über die ungeheure Zeitverschwendung und wie peinlich es ist, bei Frau Oberkötter um kurz nach acht noch zu klingeln. Aber schließlich fängt sie doch

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